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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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ihn vor der Quelle-Kraft-Wohlstand-Fluss-Kalligraphie fotografieren. Statt in die Mitte stellt er sich an die Seite des Kunstwerkes, lässt die Arme herunterhängen und hält wie ein braver Schüler mit einer Hand die andere fest.
    Zum Essen fahren wir in ein Bauernrestaurant. Es befindet sich in einem aus Holz gezimmerten und mit Balken unterteilten Saal, in dem, wie der Unternehmer stolz sagt, Speisen nach alten Shandonger bäuerlichen Rezepten angeboten werden. Die jeweils mit einer Nummer gekennzeichneten Grundbestandteile für diese 90 Gerichte stehen aufgereiht auf einer sehr langen Tafel, an der die Gäste auf die einzelnen Schüsselchen zeigen. Die Bedienerin notiert zwar die Nummern eifrig, aber ich bezweifle, dass sie unsere Nummern in die entsprechenden Gerichte verwandeln lässt und uns in den vielen Räumen, in denensich über 100 Leute lautstark amüsieren und mittendrin die Kinder auf einer Hüpfburg toben, findet. Sie findet uns und bringt alle bestellten Köstlichkeiten. Dazu serviert sie auf einer runden Holzplatte Jian bing, die typischen, im Durchmesser wohl einen halben Meter großen hauchdünnen Fladen, die eine Frau am Eingang unablässig bäckt und in die jeder Gast nach Geschmack Bambussprossen, Fleisch oder Tofu wickelt.
    Nach dem dritten Ganbei entschuldigt sich der Unternehmer, dass er uns morgen früh nicht persönlich verabschieden wird. Er muss schon zeitig in ein Zweigwerk nach Peking fahren.
    Ich frage Kuni: »Hast wenigstens du dich bei Herrn Xuan Jiaguo erkundigt, wie man Millionär wird?«
    Sie schüttelt lachend den Kopf.
    Aber der Heiler hat seine goldglänzenden und beim Aneinanderschlagen wie Glöckchen klingelnden Schröpfkegel nicht vergessen.
    Fast zwei Stunden behandelt er Kuni in ihrem Hotelzimmer. Am nächsten Morgen zeigt sie mir an Hals, Schulter und am Rücken die blutunterlaufenen blauen Saugstellen, die wie große Knutschflecke aussehen. Doch die Schmerzen, versichert sie, sind verschwunden.
    Trotzdem bin ich froh, dass ich den Heiler nicht gebeten habe, auch mich zu schröpfen. Denn was würden die vom »Gelbfieber« befallenen Deutschen sagen, wenn ich mit diesen verdächtigen Flecken nach Peking zurückkäme.

SPICKZETTEL (8)
    Natalie H., Berufswunsch: Schauspielerin
    Ich wünsche China, dass die Menschen so fröhlich bleiben. Auch wenn sie nicht sehr reich sind, sind sie fröhlich. Und dann soll sich das Land so gut weiterentwickeln wie in den letzten Jahren. Was ich hier vermisse, wenn ich an Deutschland denke?
Stracciatella-Joghurt, Pilze suchen in Wäldern, die unkomplizierte Kommunikation, Felder und Wiesen, meinen Hund und meine Verwandtschaft.
    Und in Deutschland würde mir China fehlen, also das billige Einkaufen, das Lächeln der einfachen Leute auf der Straße, die Möglichkeit, andere durch ein Lächeln zum Lächeln zu bringen, die Freiheit, im Bus lautstark zu singen, ohne blöd angestarrt zu werden.
    Ich würde einen Chinesen heiraten, ich stehe auf Asiaten. Außerdem sehen Mischlingskinder zwischen Deutschen und Chinesen immer sehr gut aus.

    Sabrina H., Berufswunsch: weiß ich noch nicht
    China wünsche ich, dass auch arme Menschen an der Entwicklung und dem neuen Wohlstand Chinas teilhaben können und dass die Armen medizinisch genauso gut versorgt werden wie die Reichen und ihre Kinder sich bilden können wie die der reichen Chinesen.
    In Deutschland würde mir das Schulleben an der Deutschen Botschaftsschule Peking fehlen. Die netten und sehr offenen Menschen in China, die nicht so verschlossen sind wie die Deutschen. Die spontan geplanten Tage, weil in Peking alles möglich ist und nicht lange zuvor geplant werden muss.

Das Mao-Gedicht
    ODER:
    »Di qiu qing ting yi xia, wo yao xia che!« – »Erde halt an, ich will aussteigen!«
    Bevor wir wieder in die Hauptstadt fahren, besuchen wir in Jinan den Freund von Herrn Wu Ming, den Poeten Sang Hengchang. Während in der heiligen Stadt Tai’an 1,57 MillionenMenschen leben, sind es in der Provinzhauptstadt Jinan über drei Millionen. Jinan ist eine Wasserstadt. Aus kaum zählbaren Quellen sprudelt Wasser, das danach unentwegt als Rinnsal oder kleiner Bach, in Röhren verlegt oder noch offen durch die Stadt fließt. Die Bewohner trinken das Wasser aus der Quelle oder tragen es in Gefäßen in ihre Häuser und behaupten: »Die Quellen und die Wasserläufe sind der Ursprung und der Kreislauf unserer Stadt. Versiegen sie, stirbt Jinan.«
    Herr Wu Ming ergänzt: »Wenn man früher in und um Jinan einen

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