Madame Zhou und der Fahrradfriseur
anderen!«
Danach schweigt er. Und sagt in die peinliche Stille hinein: »Vielleicht war es nicht nur einer, vielleicht waren es sogar drei oder vier, die sich vom Dach stürzten. In China gibt es schließlich 700 Millionen Wanderarbeiter.«
Er versteht jedoch nicht, weshalb die Medien in Deutschland immer nur von Chinesen berichten, die sich als ausgebeutete Wanderarbeiter umbringen, oder über Hausbesitzer, denen die Hütten abgerissen werden. »Ist unser Land für ausländische Journalisten nur dann einen Bericht wert, wenn sich Angehörige unseres Volkes von 1,3 Milliarden aus Protest gegen Ungerechtigkeiten das Leben nehmen? Weshalb berichten diese Medien nicht über die Betriebe, die ihre Arbeiter gut behandeln oder über die schwer erkämpften Erfolge im sozialen Bereich?«
Er könne nicht sagen, ob sich in Deutschland Arbeitslose aus Verzweiflung umgebracht haben oder Obdachlose im Winter erfroren sind. »Und wissen Sie, weshalb ich, ein sehr aufmerksamer Leser chinesischer Zeitungen, das nicht weiß? Weil keine chinesische Zeitung solche tragischen Fälle als das Typische, das Anzuprangernde oder gar von China aus zu Verurteilende zum Gegenstand ihrer Berichterstattung macht. Genauso wenig wie wir darüber urteilen, ob in Deutschland die Menschenrechte, wie wir sie verstehen, nämlich auch mit dem Recht auf Arbeit und eine Wohnung für die Familie, verletzt werden. Und wir verlangen auch nicht, dass unser Ministerpräsident diese Ansichten bei seinem nächsten Besuch Ihrer Bundeskanzlerin vorträgt.«
Er entschuldigt sich mit den Worten, »dass die deutschen Medien wahrscheinlich deshalb China und nicht Mexiko, Thailand oder andere Länder, in denen täglich Menschen umgebracht werden, als Zielscheibe ihrer kritischen Angriffe ausgesucht haben, weil in China die Kommunisten regierenund das Land sich trotzdem zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt entwickelt hat«.
Ich entgegne, dass vom kommunistischen China, außer der Kommunistischen Partei, nicht viel geblieben ist. »Das Land hat sich der Globalisierung und dem kapitalistischen System perfekt angepasst. Für die größten Finanzmanipulationen an den Aktienmärkten sind inzwischen chinesische Banken verantwortlich. Und die Frauen der neuen Millionäre fliegen wie die europäischen oder amerikanischen in einer Privatmaschine zum Friseur nach Paris.«
Xuan Jiaguo nickt. »Doch das ist keine Frage der unterschiedlichen oder gemeinsamen Kultur in China und Europa, sondern ein Zeichen für die allgemeine Verwahrlosung der Sitten.«
Auch der Tee in der dickbauchigen Porzellankanne ist inzwischen kalt geworden.
Der Unternehmer schenkt uns Reisschnaps ein, und Herr Wu Ming sagt, dass Herr Xuan Jiaguo nicht erzählt hat, dass er sehr große Summen des Gewinnes für kulturelle und soziale Zwecke verwendet. »Er sponsert zum Beispiel Gemäldeausstellungen chinesischer Künstler in Deutschland. Er ermöglicht die Besuche von chinesischen Schriftstellern in Deutschland – auch von Herrn Sang Hengchang, den wir morgen treffen werden. Der Unternehmer hat Gedichtbände junger Dichter herausgeben lassen, den Wohnungsbau für Arbeiter finanziert, und er unterstützt den Abt, Galeristen und Künstler aus der Provinz.«
Nachdem wir Ganbei getrunken haben, frage ich, ob es nicht besser wäre, mit diesem Geld die Löhne der Arbeiter zu erhöhen?
»Dann wäre das Geld heute sehr schnell aufgegessen«, widerspricht der Unternehmer, »aber so wird es auch in der Zukunft dem chinesischen Volk und meinem Betrieb Nutzen bringen.«
»Herr Xuan Jiaguo, was ist für Sie ein guter Tag?«
»Wenn im Betrieb alles planmäßig«, er lacht, »also in diesem Sinn staatlich läuft. Und wenn ich gute Gespräche mit Freunden führen kann.«
»Und ein schlechter Tag?«
»Wenn ich nichts zu tun habe.«
»Was wünschen Sie für China, Herr Xuan Jiaguo?«
»Dass niemals Raubtiere das Land beherrschen und wir immer nur so viel von der alten Gesellschaft beseitigen, dass mit dem neuen Guten nicht auch das neue Böse hereinkommen kann.«
»Und was wünschen Sie sich persönlich?«
»Dass ich zusammen mit meinem Freund Liu Junbo die Traditionelle Chinesische Medizin bewahren und er nicht nur die Körper, sondern auch die Seelen der Menschen heilen kann. Denn der Erfolgsdruck und die sozialen und psychischen Konflikte werden wachsen. Doch wir müssen weiter in Harmonie miteinander leben können. Nur aus der Harmonie entsteht die Stärke unseres Volkes.«
Am Ausgang möchte ich
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