Madame Zhou und der Fahrradfriseur
bezahlten wir – schließlich waren es unsere Lampen, die er abschrauben und für uns mitnehmen wollte – noch einmal 8000 Yuan für die Operation.«
Ich frage, weshalb nicht die chinesische Familie des Mannes das Geld besorgt hat.
»Die Ayi und ihr Mann kommen vom Dorf. Somit waren wir hier für sie die Einzigen, die helfen konnten. Sozusagen ihre Familie. Der chinesische Staat kümmert sich nicht um individuelle soziale Härtefälle. In der Not hilft nur die Familie. Und die hilft immer. Selbst wenn sie das Geld erbetteln muss. Der Staat ist in China nur für das Allgemeine, für die Masse, aber nicht für das einzelne konkrete Individuum verantwortlich.«
Weil die Patienten in der Klinik von ihren Angehörigen versorgt werden müssen, blieb die Ayi eine Woche dort und kochte für ihren Mann.
»Das waren 7 schlimme Tage für Shugang. Er, ein chinesischer Mann und Künstler, musste sich um unser Kind kümmern und ihm Essen zubereiten.«
Sie lacht. Und lädt mich ein, sie irgendwann zu besuchen.
Im Moment mag ich an keinen Besuch denken. Ich bin müde von Tai’an und Jinan und möchte endlich nach Hause.
Zu Hause (wie schnell benutzt man auch in der Fremde dieses Wort) haben Monika und Klaus die Erzgebirgsräuchermannle, die Förster, Jäger, Holzfäller, Reisigweiber, Bergarbeiter und Holzschnitzerfiguren am Wochenende vom Boden geholt. Sie stehen nun in friedlicher Koexistenz neben Buddhas und chinesischen Masken. Die Terrakottafigur vor der Terrassentür trägt eine rot-weiße Weihnachtsmannmütze, und an Regalen hängen Nikolausstiefel aus Stoff. Auf dem Laptop zeigt mir Klaus an die 200 Fotos vom deutschenWeihnachtsmarkt, den ich wegen meiner Reise verpasst habe. Tausende Chinesen und Deutsche waren gekommen. Die meisten trugen Weihnachtsmannmützen. Unter der lichtergeschmückten Weihnachtstanne verkauften die deutschen Frauen selbstgebastelte Sterne, gehäkelte Decken und Kerzen. Glühwein gab es und Sekt und Bier und Bratwürste.
Auf den letzten Fotos umarmen sich fröhliche Menschen mit vom Glühwein und Bier geröteten Gesichtern.
Zum Abschluss des Tages sehen wir das Lieblingsvideo von Klaus »von daheem«: die erzgebirgischen »Randfichten« geben zwischen Felsen und Fichten ein Konzert. Und 10 000 Fans tanzen zu den Liedern in Trachten und »Mannle«-Hüten. Klaus übersetzt für mich ab und zu die Texte (außer den auch mir bekannten, vom immer noch lebenden Holzmichl) aus dem Arzgebirgischen ins Deutsche.
»Es wird Weihnachten«, sagt er und freut sich wie ein Kind. Nur der Tannenbaum – der Gärtner hat ihn immer noch nicht besorgt – fehlt draußen. Und in der Nacht die Lichter.
Im Büro von Klaus beginnt der nächste Tag mit einer guten Nachricht. Zwar gibt es noch keinen Vertrag mit einer chinesischen Firma, doch aus Rostow am Don signalisiert ein großes Unternehmen, dass es an Produkten aus Mittweida interessiert ist.
»Dann wirst du wieder nach Russland fliegen müssen«, prophezeie ich und schaue ihn fragend an.
»Trotz alledem: Russland, das heißt die SU, war einmal meine zweite Heimat«, sagt er.
Von seinem guten Start in diesen Tag ermutigt, versuche auch ich mir wichtige Gespräche in Peking zu organisieren. Zuerst telefoniere ich mit Steffen Schindler, dem letzten Militärattaché der DDR in der Volksrepublik China, der inzwischen Chef der deutschen Wurstherstellung in Peking geworden ist. Er staunt, dass sich L. S. schon seit fast zweiWochen zu Recherchen in China aufhält, er aber noch nichts davon weiß, geschweige denn, dass er eine Thüringer Bratwurst bei ihm gegessen hat. Natürlich will er mit mir reden, aber nicht heute. Er laboriert an einer Darmgrippe.
Der Leipziger »MAD DOG« Frank meldet sich schon nach dem ersten Rufzeichen auf seinem Handy. Doch er ist geschäftlich unterwegs. Ich glaube, er sagt Thailand. In zwei Wochen könnten wir uns über den Verein der Motorbiker in Peking unterhalten. Dann fragt er lachend nach dem Zustand meines Immunsystems gegen das Gelbfieber. Ich kann ihn beruhigen.
Der Künstler Wang Shugang geht nicht ans Telefon. Friederike hätte ich eine E-Mail schicken können, aber sie hatte ja bereits versprochen: »Das nächste Mal bei ›Schillers‹.«
Aber Klaus hat einen Termin für uns. Uwe Kräuter, einer der interessantesten Deutschen in China, wird morgen im »German-Center« von seinen Erlebnissen, die er während des 35-jährigen Aufenthaltes im Land der Mitte gesammelt hat, berichten. Er war 1968, als 23-Jähriger,
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