Madame Zhou und der Fahrradfriseur
ohne Aufforderung nachgefüllt, und nach dem ersten Bier gibt es für den Preis von einem auch heute zwei. Nur die »Lufthansa«-Crew fehlt. Aber am Tresen sitzt wieder einer der wenigen chinesischen Stammgäste: mein unangenehmer »Bekannter« im orangefarbenen Sakko. Beim ersten Besuch war er mir in die Toilette gefolgt und hatte dort, neben mir stehend, eindeutig zweideutige Angebote gemacht und sich nach meiner Zurechtweisung mit »excuse me, please« entschuldigt. Klaus wollte es nicht glauben. Doch als der Mann sich auch heute von seinem Barhocker herunterschraubt und mir zur Toilette hinterherläuft, aber an der Tür sofort umdreht, weil er bemerkt hat, dass Klaus mitkommt, grinst der unverschämt. Und der Motorradfan Robert kommentiert: »Bei dem könnte man fast mutmaßen, er sei vom chinesischen Geheimdienst geschickt, um zu berichten, was die Ausländer hier so treiben.«
Seine Freundin Friederike fügt lächelnd hinzu: »Schwul ist immerhin sympathischer als Agent.« Die Sprachkundige weiß auch, dass schwul auf Chinesisch »tongzhi« heißt, was man ebenso auch als »Genosse« übersetzen kann. Die unterschiedliche Bedeutung desselben Wortklanges – im Deutschen zum Beispiel von »die Leere« und »die Lehre« (!) –, gehört zu den Tricks, mit denen chinesische User von staatswegen verbotene oder unerwünschte Themen ins Internet setzen.
Friederike stellt bei der täglichen Lektüre der chinesischen Presse fest, dass sie sich in letzter Zeit – mehr als gemeinhin angenommen – für Kritik an den eigenen Behörden öffnetund durchaus Meldungen über verschiedenste Katastrophen veröffentlicht, die früher vielleicht verschwiegen worden wären. Was die staatlichen Medien nicht veröffentlichen, wird über die neuen, modernen, immer weiter boomenden Kommunikationsmöglichkeiten verbreitet: Fast ein Drittel der Chinesen, rund 350 Millionen, also mehr als die USA Einwohner hat, benutzen das Internet, und es gibt inzwischen wohl über 150 000 chinesische Internet-Cafés, in denen die User sich allerdings mit einem Personaldokument ausweisen müssen.
Um Offenheit gegenüber der wachsenden Internetgemeinde zu demonstrieren, würden Regierung und Partei nicht müde zu versichern, dass sie das Internet als eine neue Plattform des harmonischen Austauschs zwischen Volk und Staat schätzen und dass sie die Einbindung und Reflexion von Kritik, Vorschlägen und Beschwerden der Internetgemeinde als Schlüssel zu einem tieferen Verständnis der »Basis« anerkennen würden.
In Blogs berichten Chinesen zum Beispiel von Bürgermeistern oder Parteichefs, die Bauern vertreiben und kommunalen Grund und Boden an Wohnungsbauunternehmen vermieten, um Provisionen zu kassieren. Andere User bezichtigen die Medien der Lüge, wenn die über sozialen Fortschritt in Dörfern berichten, in denen es noch nicht einmal fließendes Wasser gibt. Und junge Intellektuelle fordern im Internet mehr Demokratie für China.
Die Regierung, sagt Friederike, versuche zu integrieren oder zu verbieten. So hat man einerseits in einigen Provinzen die Verantwortlichen der Kommunalbehörden geschult und angewiesen, auf alle Blogs, die ihren Fachbereich betreffen, innerhalb von 24 Stunden mit E-Mails zu reagieren, andererseits sperrt man Internet-Seiten oder Suchbegriffe, welche die »öffentliche Ordnung« stören. Zur Zeit ist der Name des künftigen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo gesperrt.Gibt man seinen Namen ein, erhält man einen »blank«. Aber Millionen von Chinesen heißen Liu. Es ist unmöglich, alle diese Liu-Seiten zu sperren.
Deshalb schreiben die User in ihren Blogs nicht über den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, sondern über irgendeinen Liu. »Ich bin so stolz auf Liu … Er ist der Held Chinas …« Oder: »Mein Idol ist Liu …«
Jeder, der es liest, weiß, wer gemeint ist, doch die User schreiben in ihren Blogs am Schluss vom Weltklassehürdenläufer Liu Xiang oder von Liu Dehua, dem berühmten Sänger aus Hongkong. (Anlässlich der Preisverleihung in Oslo wurde von der chinesischen Internetzensur auch der Begriff »Kong Yize« – »leerer Stuhl« –, mit dem sich die User verständigt hatten, gesperrt, da er ein Symbol für die unfreiwillige Abwesenheit Liu Xiaobos bei der Preisverleihung war. Daraufhin wurden Fotos von einem leeren Stuhl in Blogs verbreitet.)
Friederike erzählt auch von einem berühmten Symbol gegen die Internetzensur: dem »Alpaca«, dem sogenannten »Gras-Schlamm-Pferd« (Cao ni ma). In
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