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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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immer noch steigenden Rekordumsätzen von VW in China gratulieren. Jährlich verkaufen VW, Opel, Renault und andere internationale Konzerne Millionen Autos in China. Aber stattdessen frage ich ihn als Experten, was aus der Erde werden soll, wenn von den 1,3 Milliarden Chinesen 80 Prozent ein Auto fahren wie in Deutschland. »Dann haben wir hier so viel verdient, dass wir Millionen in die Entwicklung konkurrenzfähiger, billiger Elektroautos investierenund, um die Umwelt zu schonen, jedem Deutschen seinen Benziner gegen ein kleines Elektromobil umtauschen könnten«, sagt er schmunzelnd. Und entgegnet dann ernsthaft: »Man sollte der Umwelt zuliebe als Konzern den unersättlichen chinesischen Automarkt meiden. Doch das wäre gegen alle Regeln und Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft. Und wenn nicht wir liefern, befriedigen andere die Autowünsche von Millionen Chinesen. Oder wollen Sie den Chinesen beibringen, dass sie, um das Klima der Erde zu retten, alle wieder auf ihr Fahrrad steigen sollen?«
    Er will gehen, denn er muss zu Hause die Ayi noch bezahlen.
    »Heißt seine Reinemachfrau auch Ayi?«, frage ich Klaus.
    »Alle Putzfrauen in China heißen Ayi – man kann es auch mit Tante übersetzen.«
    Der VW-Manager trinkt noch ein schnelles Bier, schaut dabei durch das Fenster nach draußen und sagt: »Der Fahrer hatte den ganzen Tag nichts zu tun. Da kann er wenigstens abends ein bisschen länger auf mich warten.«
    Schon als er bezahlt, steigt der Chinese aus und öffnet ihm die Wagentür, allerdings ohne vor dem Chef zu salutieren.
    Wir fahren zum Essen zu einem chinesischen »Italiener«. Obwohl nicht die Italiener, sondern die Chinesen die Nudeln erfunden und Marco Polo sie 1291 aus China nach Italien gebracht haben soll, verzichte ich auf die Beschreibung der von Chinesen gekochten italienischen Pasta mit Pesto Genovese.
    Neben dem Restaurant befindet sich ein Geschäft, in dem man Lebensmittel aus vielen Ländern kaufen kann: italienische Soßen, Emmentaler Käse (in China gibt es anstelle von Käse nur Tofu), spanischen Schinken, deutsche Kekse, Schweizer Schokolade, schottischen Whisky und viele andere Delikatessen. Wir laufen sehr eilig durch diesen kleinen internationalen Supermarkt, denn die Chinesen wollen schließen. Doch auch hier trifft Monika eine Frau aus ihrem zwangsläufig(sie lebt mit Klaus seit über 10 Jahren in Peking) großen Bekanntenkreis. Anscheinend haben sie sich eine lange Zeit nicht gesehen, denn Monika stellt mir ihre Freundin Julia nur sehr kurz als »Chefsekretärin bei ›Siemens‹« vor, dann beginnt ein nicht enden wollendes »Der ist jetzt dort …« und »Weißt du, wo sie inzwischen arbeitet? …« und »Ach, das hätte ich nicht von den beiden gedacht …«-Gespräch.
    Ich kenne keinen der Genannten, aber als die Chefsekretärin von ihrer Ayi und einem Unglück vor einem Jahr und dem Atelier ihres chinesischen Mannes, das abgerissen werden soll, erzählt, höre ich doch zu. Julias Mann, der auch in Deutschland bekannte chinesische Künstler Wang Shugang, arbeitete viele Jahre in einem Atelier in einem dorfähnlichen Wohngebiet von Peking. Mitten im kalten Winter des vergangenen Jahres hatten die Behörden ihm und den anderen Bewohnern mitgeteilt, dass sowohl die neueren Häuschen als auch die alten Hutong-Hütten abgerissen werden.
    »Dass diese Nachricht ernst gemeint war, bestätigte sich bald, denn die Einwohner stapelten viele neue Ziegel vor ihren alten Häuschen. Sobald der Abriss droht, vergrößern die Chinesen schnell noch ihre Hütten, um eine höhere Abfindung zu erhalten.«
    Wang Shugang tat das nicht, er schaute sich stattdessen nach einem neuen Atelier um.
    »In eisigster Kälte räumten wir das alte Atelier aus und brachten Material, Keramiken und Werkzeuge, in das neue Atelier. Dort zersprangen einige der sehr kunstvollen Figuren wegen der schrecklichen Kälte.«
    Doch das sei nicht das Schlimmste gewesen.
    »Mein Mann und ich waren schon vorausgefahren. Nur die Ayi und ihr Mann blieben im alten Atelier zurück, um sauberzumachen. Und als der Mann die Lampen an der Decke abschrauben wollte, stürzte er so unglücklich von der drei Meter hohen Leiter, dass er sich die Schulter und ein Bein brach.Splitterbrüche! Seine Frau informierte uns über das Unglück. Damit der Mann in eine Klinik aufgenommen wurde, hätte sie 4000 Yuan bezahlen müssen. Natürlich konnte die Ayi in dieser eiskalten Winternacht kein Geld auftreiben. Wir gaben ihr die 4000. Später

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