Madame Zhou und der Fahrradfriseur
großartiges Volk mit einer großartigen Vergangenheit kann solch eine großartige Mauer haben.
Blick von der Chinesischen Mauer
Und solch ein großartiges Volk mit einer solch großartigen Mauer hat bestimmt eine großartige Zukunft.«
Nachdem die ersten Menschen ins All geflogen waren, verkündeten die Chinesen in ihren Schulbüchern stolz: »Die Große Mauer ist das einzige Bauwerk der Welt, das man aus dem Orbit mit bloßen Augen erkennen kann!« Erst nachdem 2003 der chinesische Astronaut Yang Liwaei die Große Mauer trotz der Anweisung der chinesischen Agitatoren vom Weltraum aus nicht sehen konnte, musste diese den Nationalstolz befördernde Formulierung schweren Herzens wieder aus den Schulbüchern gestrichen werden.
Vor uns steigt eine junge langhaarige Chinesin in Wildlederstiefeln, schwarzen Strumpfhosen, einem Minirock und einem genauso kurzen Mantel die Stufen der Mauer hinauf. Und dahinter quält sich eine Frau mit Hilfe ihres Mannes in Stöckelschuhen und sehr engem Kostüm bis zum ersten Wachturm. Der Mann muss sie nach jeweils 10 geschafften Metern fotografieren.
Klaus meint, dass sie aus der Provinz kommen. »Sie werden nur einmal in ihrem Leben die Große Mauer besuchen und wollen sich auf ihr in der besten Kleidung fotografieren lassen. Schließlich steht das Bild danach bis zum Lebensende an der sichtbarsten Stelle ihrer Wohnung.«
Wenige Meter später bittet mich der Mann, dass ich mich zwischen sie stelle, und drückt Klaus den Fotoapparat in die Hand. Der Mann und die Frau lächeln stolz. »Das Bild wird die Krönung sein«, sagt Klaus. »Nicht nur auf der Mauer, sondern mit einem Laowai auf der Mauer!«
Nach dem zweiten Wachhaus verschnaufen Klaus und ich. Keiner hat das Bedürfnis zu beweisen, dass er noch höher klettern könnte als der andere. Zumal die untergehende Sonne die gegenüberliegenden Gipfel und die mit gelb-braunen Ziegeln verkleidete Mauer, wie von Bühnenscheinwerfern angestrahlt, aufleuchten lässt. Wir stehen andächtig vordem Weltwunder. Der Abstieg ist nicht nur wegen der von Millionen Schuhen glatt gelaufenen Stufen und Fliesen weniger angenehm, sondern auch wegen der nachträglich für die Touristen angebrachten Haltestangen. Sie sind für die kleinen Chinesen so tief befestigt, dass wir uns bücken müssen, um uns daran festzuhalten. In regelmäßigen Abständen mahnen Lautsprecher, die sich an den Wachtürmen befinden, vorsichtig zu laufen, zu beachten, dass die Große Mauer ab 18 Uhr geschlossen wird, nicht auf den Boden zu spucken, nicht zu rennen, nicht auf die Mauerstraße zu urinieren …
Wieder unten angekommen, empfängt uns ein Souvenirverkäufer wahrhaftig mit »Gucke, gucke! Billig, billig!« und versucht uns ein Postkartenset der Großen Mauer, das ansonsten 10 Yuan kostet, für 40 Yuan zu verkaufen. Je weiter wir laufen, und dabei auch seine Pelzmützen ablehnen, umso weniger kosten die Postkarten. Erst als er bei 10 Yuan angekommen ist, wir aber immer noch ablehnen, verstummt sein »Gucke, gucke, billig, billig!«.
Monika sitzt im hinteren Teil der Andenken-Bar. In dem langgestreckten Raum ist kein Zentimeter Wand frei geblieben. Alle Flächen sind mit Kimonos, Ölgemälden von der Mauer, Kalligrafien, Fahnen, Lampions und Tüchern verhangen oder mit Regalen zugestellt, in denen Tassen, Teekannen, Trommeln, Schachfiguren, Mao-Büsten und Tempelnachbildungen von Spotleuchten angestrahlt werden.
Der chinesische Chef der Bar hat Monika in den zwei Stunden Wartezeit zwei Whiskys spendiert. Trotzdem rät sie den Touristen einer deutschen Reisegruppe, hier keinen Kimono zu kaufen. In der Stadt bekäme man ihn zu einem Viertel des Preises.
Den dritten Whisky trinken wir zusammen, und die Barfrauen raten, woher wir kommen. Zuerst tippen sie auf die USA, danach Kanada, Australien. Das alles scheint ihnen näher zu sein als Deutschland.
Kein Zentimeter ist im Andenken-Shop frei
Auf dem Rückweg kaufen wir im internationalen Laden Sekt, Obst, Wein und Wurst. Denn um 24 Uhr hat Klaus Geburtstag.
An einer Tankstelle in der Nähe vom Compound werden Weihnachtsbäume angeboten. Klaus sucht einen, den er nach Weihnachten im Vorgarten einpflanzen kann. Der Tankwart verlangt nur 35 Euro. Zuvor hatten Händler in einem Gartenmarkt 60 Euro für einen zwei Meter hohen Baum haben wollen. Eine Stunde später bringt der Tankwart die Weihnachtstanne in einem aufklappbaren Kasten mit dem Dreirad vor das Haus. Er hat auch Schaufel und Spaten dabei und pflanzt den
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