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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Herr?«
    Ich erinnere mich an den im Reiseführer gegebenen Ratschlag: »Wer nicht gerade einen Stadtplan braucht, sollte um Kartenverkäufer und Konsorten (z. B. die allgegenwärtigen Englisch-Studenten) einen weiten Bogen machen«, lehne sein Angebot schroff ab und drehe mich um. Er versucht es noch einmal, zeigt mir das am Mantel angebrachte Namensschild »Du Qi« und kramt aus der Hosentasche eine zusammengeklappte Pappe, auf deren Innenseite bestätigt wird, dass Du Qi im letzten Jahr am Germanistischen Institut studiert hat. Ich sage, dass ich keine Informationen von ihm brauche. Alles Wichtige könnte ich im Reiseführer nachlesen. Und um es zu beweisen, erkläre ich, seinerzeit hätte hier ein Teil der Verbotenen Stadt gestanden: der Platz der Tausend Füße mit dem Ministerium für religiöse Zeremonien und das Ministerium für Steuern. Mao Zedong hätte es abreißen lassen, um die größte öffentliche Parade- und Kundgebungsfläche der Welt für eine Ansammlung von einer Million Menschen zu schaffen. Größer als der Rote Platz in Moskau.
    Er nickt und fragt, ob in meinem Reiseführer auch steht, dass Mao Zedong vor seinem Tod angeordnet hat, ihn einzuäschern.

    Auf dem Platz des Himmlischen Friedens
    »Er wollte nicht einbalsamiert und aufbewahrt werden.« Doch Ministerpräsident Zhou Enlai hat ihn nicht verbrennen lassen, sondern befohlen: »Er muss dem chinesischen Volk für ewig erhalten bleiben.«
    Ein Jahr lang sei oben das Mausoleum errichtet und genau darunter in einem Bunker Mao Zedong präpariert worden.Ich sage, dass ich darüber im Reiseführer nichts gelesen habe. »Aber das Datum seines Todes ist dort genannt?«
    »Ja«, sage ich, »am 9. Dezember 1976, nur wenige Minuten nach Mitternacht.«
    »Nur wenige Minuten nachdem der neunte Tag begonnen hatte«, sagt Du Qi.
    Die Neun symbolisiert die Stärke des Mannes und ist das Zeichen für die Macht des Kaisers. In der Verbotenen Stadt wurden alle Türen der Kaiserlichen Hallen mit 9 x 9 goldenen Nägeln beschlagen, es gibt 9 Stufen und 9 Figuren auf den Dächern …
    »Vielleicht, ist Mao Zedong schon am 8. gestorben. Und nicht in den ersten 10 Minuten des angebrochenen neunten Tages.«
    Genau weiß er es nicht. »Aber es ist in China von großer Möglichkeit.«
    Auf die lange Schlange vor dem Mausoleum zeigend, sagt er, dass es gewöhnlich im Dezember für einige Tage geschlossen bleibt.
    »Dann wird Mao Zedong mit dem Lift in die Räume unter dem Mausoleum gefahren und dort wieder frisch gemacht.«
    Als ich ihn verständnislos anschaue, erläutert er, dass der Tote in einer Flüssigkeit liegt, die regelmäßig ausgetauscht werden muss. »Ohne dass das Volk es bemerkt.«
    Das hat er in guten Reiseführern gelesen. In meinem steht nichts davon. Er vermutet, dass darin wahrscheinlich auch nicht das in China 31 Jahre lang gehütete Geheimnis, der Aufbau des Tian’anmen-Tores, erwähnt wird.
    »Doch«, triumphiere ich. »Im 15. Jahrhundert errichtet, im 17. Jahrhundert nach einem Brand restauriert.«
    »Das Tor zum Himmlischen Frieden?«, vergewissert er sich.
    »Ja, das Tor, durch das die Soldaten der Volksbefreiungsarmee täglich zur Zeremonie des Fahnenhissens und -einholens auf dem Tian’anmen-Platz paradieren.«
    Du Qi weiß: »Pro Minute exakt 180 Schritte, jeder 75 Zentimeter lang.«
    Und informiert dann, dass dieses knapp 70 Meter lange, etwa 40 Meter breite, 30 Meter hohe und über 400 Jahre alte Tor, das Wahrzeichen der Volksrepublik China, von Dezember 1969 bis zum April 1970 »still und heimlich« abgetragen und neu aufgebaut worden ist. »Heimlich und ohne dass die nicht in dieses höchste Staatsgeheimnis eingeweihten Pekinger oder die Medien etwas davon bemerkt haben.«
    Ich frage ungläubig: »Kein Mensch hat gesehen, dass an Stelle des historischen Tores ein neues Bauwerk errichtet worden ist?«
    »Nein, sie glichen sich danach wie ein Ei dem anderen.«
    Du Qi strahlt. »Nur in China ist so etwas Großes möglich.«
    Das Tor, mit dem für ewig dort aufgehängten Bild von Mao Zedong und den daneben angebrachten ewig gültigen Losungen »Lang lebe die Volksrepublik China« und »Lang lebe die Einheit der Völker der Welt«, ist 1969 so morsch gewesen, dass Experten voraussagten, dass es bei einem Sturm oder einem Beben einstürzen könnte.
    Was sich niemand vorzustellen vermochte. »Denn das wäre für das chinesische Volk, als ob der Himmel in Schutt auf der Erde liegt.«
    Die Partei beschloss, das historische Tor heimlich zu

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