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Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)

Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)

Titel: Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Kacvinsky
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warf er alles in einen schwarzen Koffer, der in der Ecke stand.
    An der Wand hing kein einziges Foto oder Poster. Nichts gab mir Hinweise auf seinen Charakter … außer, dass er geheimniskrämerisch und mysteriös war, aber das hatte ich schließlich schon gewusst. Zur Unterhaltung hatte er nur einen Stapel Bücher neben der Matratze liegen. Ich lehnte mich vor, um die Titel zu lesen. Es gab eine Poesiesammlung des Mystikers Rumi, der auch zu meinen Lieblingsdichtern gehörte, und eine Ausgabe von Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten .
    »Wie würdest du deinen Einrichtungsstil nennen?«, fragte ich. »Eher ›langweiliger Junggeselle‹ oder ›verschrobener Eremit‹?«
    Er schaute mich an. »Wie wäre es mit ›abgelenkt-durch-meine-Freundin-im-Knast‹?«, schlug er vor. »Ich bin selten hier und hatte nicht vor, Dinnerpartys zu schmeißen.«
    »Dein Wahlspruch ist jedenfalls nicht: ›My home is my castle‹«, stimmte ich zu. Auch wenn er seine Kleidung hier abgeladen hatte, fühlte sich der Raum unbewohnt an. Ich erinnerte mich an eine frühere Bemerkung von ihm. Damals hatte er gesagt, er würde nie mehr besitzen, als in einen Koffer passte. Andererseits fiel mir auf, dass seine wenigen Habseligkeiten einen guten Geschmack bewiesen. Im Moment trug er eine Lederjacke, die an den Armen und Schultern so perfekt saß, dass sie ihm vermutlich auf den Leib geschneidert war. Seine Jeans, Shirts und Schuhe sahen nach teuren Marken aus. Im Badezimmer war mir aufgefallen, dass die Hautcreme einen französischen Namen trug. Ich wusste, dass er jeden technischen Schnickschnack hätte besitzen können, der jemals erfunden worden war, aber das war ihm egal.
    »Ich habe die Wohnung eigentlich nur alle paar Tage als Schlafplatz benutzt.«
    »Nachdem du dich mit mir getroffen hast«, folgerte ich.
    Er nickte und schlüpfte aus seinen Turnschuhen. »Stimmt. Aber das ist doch ein Anfang. Schließlich hatte ich vorher noch nie eine eigene Wohnung.«
    Ich ließ mich auf der verschlissenen grauen Couch nieder. Sie fühlte sich weich und bequem an. Im Vergleich zu dem Folterkeller, dem ich gerade entkommen war, kam mir diese leere Wohnung wie der reinste Palast vor. Ich schaute zu Justin hoch. »Bestimmt ist es ein bisschen beängstigend, das erste Mal Wurzeln zu schlagen.«
    Er zog die Jacke aus und warf sie auf den Hosenstapel. »Eigentlich fühlt es sich ganz nett an.« Dann zog er die Gardinen vor der Fensterwand zurück. »Das hier ist der eigentliche Grund, warum ich die Wohnung gemietet habe«, sagte er, schaltete das Licht aus und setzte sich neben mich auf die Couch. Wir betrachteten die Skyline, die sich in geometrischen Linien vor uns ausbreitete. In der einen Richtung sah man die Wolkenkratzer von South Central. Sie sahen winzig aus, als könnte ich sie in die Hand nehmen und ihre gelb leuchtenden Fenster mit den Fingerkuppen berühren. Züge schlängelten sich gleißend durch die Straßen der Stadt und ZipShuttles sausten wie Glühwürmchen zwischen ihnen herum. Millionen von Lichtern glimmten. Es sah aus wie eine künstliche Galaxie voller Sternbilder. Der Blick reichte bis zur Meeresküste in der Ferne. Das Wasser schimmerte im Licht der Wellengeneratoren.
    »Ich konnte dich von hier aus sehen«, sagte er, drückte die Finger an die Scheibe und zeigte in Richtung des Ozeans. Ich folgte seinem Blick, konnte aber das Center nicht erkennen. Eigentlich wollte ich es mir nicht einmal vorstellen. Am liebsten hätte ich diesen Teil meines Lebens ganz und gar aus meinen Gedanken verdrängt.
    »Mir hat die Vorstellung gefallen, dass ich immer ein Auge auf dich haben kann«, sagte er. »Dadurch habe ich mich ein bisschen besser gefühlt.« Unsere Blicke trafen sich und seine Augen strahlten heller, als ich es je bei ihm gesehen hatte. Auf seinem Gesicht zeichnete sich eine Mischung aus Erleichterung und Erschöpfung ab, als seien die vergangenen sechs Monate für ihn genauso eine Tortur gewesen wie für mich. Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie sich die Situation für Justin anfühlen musste. Wenn es umgekehrt gewesen wäre und ich gewusst hätte, dass er ein Gefangener war, dass ich ihm nicht helfen konnte, dass ich nicht einmal verstand, was er durchmachte … dann wäre ich völlig wahnsinnig geworden. Ich hätte das Center gestürmt. Ich hätte keinen Stein auf dem anderen gelassen. Ich hätte nur noch daran gedacht, ihn zu retten. Als ich Justin nun anschaute, wurde mir klar, wie viel Kraft es ihn gekostet haben

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