Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
»Vielleicht bist du noch nicht so weit.«
»Nein«, sagte ich. »Das ist keine Panikattacke, nur Nervosität. Ich bin nicht gewöhnt an so eine Menge … Leben.«
»Zu viele Sinnesreize?«
»Ja, aber es gefällt mir«, beruhigte ich ihn.
Justin redete, um mich abzulenken. Er erklärte mir, dass wir uns im einzigen Teil von L.A. befanden, wo die Leute unplugged lebten. Deshalb wurde das Viertel auch Freak Street genannt. Die Straße war von kleinen Läden, Cafés, Tattoo-Shops, Kunstgalerien und altertümlichen Kinos gesäumt. Justin erzählte, dass es sogar einen Buchladen gab, der voller Antiquitäten aus Papier stand.
»Hier gehen die Leute tatsächlich zu Fuß«, sagte er, »und verlassen tagsüber ihre Häuser.«
»Das war’s dann mit meiner Theorie«, bemerkte ich.
»Und die wäre?«
»Dass alle Menschen zu Vampiren mutiert sind und deshalb den ganzen Tag drinnen bleiben. Hört sich jedenfalls glamouröser an als die Vorstellung, dass wir rumsitzen und auf Bildschirme starren.«
Er grinste mich an. Wir kamen an Restaurants vorbei, die Sitzplätze draußen hatten und deren Speisekarten handgeschrieben waren.
»Wenigstens gibt es dieses Viertel noch«, sagte ich.
»Ja, aber für wie lange?«, meinte Justin. »Ein Geschäft nach dem anderen muss aufgeben. Das Problem gibt es sogar in Eden, weil die Bevölkerungszahl ständig sinkt.«
Er trat unter eine gelbe Markise und hielt die Cafétür für mich auf. Eine Glocke am Türrahmen bimmelte. Natürlich sprang ich vor Schreck fast an die Decke. Ich atmete durch und befahl mir, mich zu entspannen. Trotzdem krampfte ich die Hände zusammen, um nicht wieder nach Justins Arm zu greifen. Reiß dich zusammen und beherrsch deine Psychoklatsche, ermahnte ich mich.
Der Fußboden des Cafés war mit einem schwarz-weißen Karomuster aus Fliesen bedeckt. An den Tischen saßen schon ein paar Leute, die fast alle auf FlipScreens starrten. Wir gingen zum Tresen, wo Justin zwei Becher Kaffee und Sandwiches bestellte. Die Kellnerin war eine junge Frau mit kastanienbraunen Haaren, die im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Als Justin seine Geldkarte zückte, winkte sie ab.
»Du weißt doch, dass du hier mit dem Bezahlen kein Glück hast«, sagte sie und warf ihm ein Lächeln zu. Ich hob die Augenbrauen. »Betrachte es als Spende für den Kampf gegen die Digital School.« Er dankte ihr und lächelte zurück, was sie zum Schmelzen brachte, so als habe er ihr einen Blumenstrauß überreicht.
Dann warf sie einen Blick auf mich. »Sieht aus, als hättest du ein anstrengende Nacht gehabt, Justin«, bemerkte sie. »Ist sie ein Flüchtling, den du abgefangen hast?«
»Nein, wir beide sind ein Paar. Darf ich dir Maddie Freeman vorstellen? Vielleicht hast du schon von ihr gehört.«
Der Kellnerin blieb der Mund offen stehen. »Kevin Freeman’s Tochter?«, fragte sie.
Ich lächelte. »Ganz genau.« Was hatte sie wohl am meisten geschockt? Mein verlottertes Aussehen, mein Stammbaum oder Justins Mitteilung, dass wir ein Paar waren? Letzteres hatte mich auch fast umgeworfen.
»Seid ihr verrückt?«, fragte sie. »Verfeindete Familien? Habt ihr nie was von Romeo und Julia gehört?« Eine andere Bedienung kam aus der Küche, um uns unsere Bestellung zu bringen.
»Schon, aber da gibt es einen großen Unterschied«, sagte Justin.
»Nämlich?«, fragte sie.
»Romeo war ein Weichei. Danke für den Kaffee«, sagte er und wandte sich zum Gehen. Ich folgte ihm aus der Tür und wir setzten uns auf eine Bank, die von zwei großen Blumentöpfen mit gelben Tulpen eingerahmt wurde. Er reichte mir meinen Becher.
»Sorry«, sagte er. »Ich hätte dich warnen sollen, dass Chrissy ziemlich direkt sein kann.«
»Also ehrlich, wie kannst du Shakespeare so dissen?«, entgegnete ich. »Hast du ihr Gesicht gesehen, als du mich als deine Freundin vorgestellt hast? Ich glaube, damit hast du ihr Klatsch für den Rest des Jahrhunderts geliefert.«
Er lächelte, lehnte sich vor und küsste mich. Ich erwiderte den Kuss. Unser Kaffee war für die nächsten zehn Minuten vergessen.
x
Wir schlenderten zurück den Hügel hinauf und tranken den restlichen Kaffee aus unseren Pappbechern. Dabei zeigte ich auf alles, was uns begegnete, als sei ich in einem Museum voller Kunstwerke. In meiner Centerzeit hatte ich die ganzen Einzelheiten vermisst, die das Leben ausmachten. Ich genoss die warme Sonne, die mir auf den Nacken schien, die seltene Zweisamkeit mit Justin, den wunderbaren Kaffee, die
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