Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
unter meinen Zehen und streckte genießerisch die Füße. Im DCLA war der Boden immer eiskalt gewesen. Statt mich zu strecken, hatte ich mich dort zu einem Ball zusammengerollt. Meine Haut hatte jede Berührung als Gefahr registriert.
Justin zeigte auf eine Sporttasche, die Kleidung für mich enthielt.
»Obwohl du ziemlich heiß aussiehst, wenn du meine T-Shirts trägst«, sagte er und grinste mein Schlafgewand an. Ich schaute auf meine dürren Beine, die unten aus seinem viel zu großen Shirt ragten, und wurde rot. Um das Thema zu wechseln, nickte ich in Richtung seines eigenen Kleiderhaufens.
»So sieht bei dir also der Einzug in eine Wohnung aus?«, fragte ich. »Genauso gut könntest du schon wieder weg sein.«
Er nickte und zog sich einen grauen Kapuzenpulli über den Kopf. »Mein Leben ist eine einzige lange Reise.«
Ich versuchte, mich an die sachliche Einrichtung zu gewöhnen. Wahrscheinlich würde mein Leben für eine Weile genauso aussehen.
»Okay, ich brauche eine kurze Anleitung«, sagte ich. »Wie führt man so ein Vagabundendasein?«
»Man hat möglichst wenig Besitz. Man nimmt nur das Nötigste mit auf die Reise.« Er lächelte mich an. »Bis ich irgendwann wirklich sesshaft werde, dürfte es noch eine Weile dauern«, sagte er. »Das müsstest du inzwischen wissen.«
Seine Worte gaben mir einen Stich. Aber natürlich hatte er recht. Er würde sich nie anpassen; er würde nie aufgeben, er würde immer unterwegs sein. Und er hatte nichts von einer Reisebegleitung gesagt.
»Wir müssen bald aufbrechen«, verkündete er passenderweise und schob mich an den Schultern in Richtung Badezimmer. »Vorher musst du noch etwas essen.«
»Wohin fahren wir?«, fragte ich.
»Nach Eden«, sagte er. »Ich dachte mir, du könntest ein bisschen Kontakt mit der Wirklichkeit brauchen.«
Beim Duschen nahm ich mir die Zeit, jeden Zentimeter von mir zu waschen und zu bürsten, als könnte ich die letzten sechs Monate aus meinem Kopf spülen, wenn ich nur genug schrubbte. Das dampfende, angenehm warme Wasser war reiner Luxus, genau wie der Waschlappen, die Haarpflege-Lotion und das Shampoo, das nicht nach Küchenreiniger roch. Im Center hatte man uns stumpfe Plastikrasierer gegeben, damit wir uns nicht selbst verletzten konnten. Jedes Mal, wenn ich mich aufgerafft hatte, mir die Beine zu enthaaren, waren sie hinterher rot und stoppelig gewesen. Die harten Wasserstrahlen hatten meine Haut rau und schuppig werden lassen. Jetzt bediente ich mich bei Justins französischer Feuchtigkeitscreme und der Duft von Aloe und Rosmarin hüllte mich ein.
Zum ersten Mal seit einem halben Jahr konnte ich wieder Jeans tragen und zog sie mir fast andächtig über die Beine. Das T-Shirt war weich und saß wie angegossen – kein Vergleich zu der Anstaltskleidung, die immer wie ein Bettlaken an mir gehangen hatte. Ich betrachtete mein Spiegelbild. Es zeigte mir lange, ungeschnittene Haare, eine spindeldürre Figur und eingesunkene Wangen. Aber wenigstens hatte die Dusche mir etwas Farbe ins Gesicht getrieben und meine Augen strahlten. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit freute ich mich darauf, den Morgen zu beginnen. Normalerweise kroch die Zeit unerträglich langsam voran, doch jetzt wollte ich jede Minute festhalten. Ich war in Feierlaune. Heute war ein Tag, den ich nicht mühsam durchstehen musste, sondern genießen konnte. So viel von meiner Lebenszeit hatte ich einfach nur über mich ergehen lassen, statt daran teilzunehmen.
Ich gesellte mich zu Justin und wir marschierten nach draußen in die frische Morgenluft. Der Himmel war hellblau und wirkte noch ein bisschen verschlafen, die Sonne hing dicht über dem Horizont. Wir gingen die Straße hinunter zu einem Café namens Firefly , das nur wenige Blocks von der Wohnung entfernt lag.
Mir fiel auf, dass recht viele Leute draußen waren. Diese Tatsache konnte ich kaum übersehen, denn ich zuckte jedes Mal zusammen, wenn mir jemand zu nahe kam. Zwei Frauen joggten mit ihren Hunden vorbei und grüßten, was mich so aus der Bahn warf, dass ich buchstäblich über die eigenen Füße stolperte. Justin griff nach meiner Hand, um mich zu stützen, und ließ sie danach nicht wieder los. Eine junge Mutter mit Kinderwagen kam uns entgegen. Eine Gruppe Teenager sauste mit Skateboards die Straße entlang und das Geräusch der Rollen versetzte mich in Panik. Ich ließ Justins Hand los und umklammerte stattdessen seinen ganzen Arm.
»Sollen wir umkehren?«, fragte er mit besorgter Miene.
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