Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
keinen Spiegel, um zu wissen, dass ich ständig Gewicht verlor. Meine Anstaltskleidung war ein ganzes Stück schlabberiger geworden.
Ich vergrub mein Gesicht im Kissen, weil es sich seltsam normal anfühlte, ersticken zu wollen.
Ich hörte, wie Gabe aufstand, und zog das Laken enger um mich, als könnte es mich beschützen. Mir war selbst klar, dass ich täglich schreckhafter wurde. Bei jedem Geräusch, jeder kleinen Bewegung begann mein Herz zu rasen, und mein Magen zog sich zusammen.
»Du fühlst dich bestimmt besser, wenn du geduscht hast«, sagte Gabe.
Ich antwortete mit einem Grunzen.
»Heute ist dein großer Tag«, hörte ich ihn sagen. »Den willst du doch nicht verpassen?«
Ich schob das Laken bis zu meiner Brust hinunter und blinzelte verwirrt zu ihm hoch. In meinem Herzen keimte etwas auf, das sich wie Hoffnung anfühlte.
»Was meinst du damit?«, fragte ich.
Er grinste. »Willst du deine Freunde sehen, oder nicht?«
Ich schaffte es, mich aufzurichten. Fragte ihn, ob er das ernst meinte. Wagte zu lächeln.
»In einer Stunde«, sagte er. »Um Mitternacht. Bis dahin musst du fertig sein.« Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ den Raum.
Kapitel Vierzehn
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Ich tigerte im Zimmer auf und ab, meine Sandalen schlurften über den Boden. Nach einer Weile hatte ich mich tatsächlich dazu bringen können, aufzustehen. Gabe hatte meine Tür unverschlossen gelassen, sodass ich duschen und mich umziehen konnte. Nun trug ich ein Kapuzenshirt über der Patientenkluft. Ich hatte einen Müsliriegel heruntergewürgt, was vor lauter Nervosität noch schwerer gewesen war als sonst. Mein Herz schlug wie wild. Kurz vor Mitternacht hörte ich ein leises Klopfen an der Tür. Ich öffnete, und Gabe forderte mich mit einer Handbewegung auf, ihm zu folgen.
Er ging durch den Flur voran und ich hielt mich immer ein paar Schritte hinter ihm. Ich brauchte diesen Sicherheitsabstand. Menschliche Nähe machte mir Angst. In den letzten Wochen hatte jede Begegnung mit anderen zu Schmerzen geführt. Wenn Menschen sich offline zusammenfanden, führte das nur zu Tragödien. Inzwischen fühlte sich jeder Blick wie der Stich einer Biene an und mein abgeschottetes Leben kam mir immer natürlicher vor. Isolation war mir zu einem Bedürfnis geworden. Innerhalb meiner Bildschirme konnte mir niemand wehtun. Die Computerwände wurden allmählich zu einer Schutzschicht zwischen mir und der brutalen Welt draußen. Nur noch selten hatte ich den Wunsch, meine virtuelle Geborgenheit zu verlassen.
In dieser Woche war ich auf dem Weg zur Toilette zwei Mal einer anderen Patientin begegnet, und beide Male hatten wir den Blick abgewandt und uns dicht an den Wänden gehalten. Wir hatten möglichst viel Abstand zwischen uns gelassen, als würden wir eine ansteckende Krankheit mit uns herumschleppen. Inzwischen betrachtete ich Menschen kaum noch als Menschen. Ich nahm sie nur als Schatten und Bewegungen wahr, die Gefahr bedeuteten. Ich sah tickende Zeitbomben, die in grünen Kitteln herumliefen. Ich schaute nicht mehr in den Spiegel. Der Wandschirm konnte mir mein Bild zeigen, wenn ich wollte, aber stattdessen stellte ich mir lieber vor, welche Frisur ich hatte, welche Körpermaße und welche Kleidung. Diese Maddie wurde mein neues Ich, denn sie war leichter zu ertragen als mein Spiegelbild.
Nun erreichte Gabe den Fahrstuhl und öffnete ihn mit seiner ID -Karte. Drinnen tippte er einen Code ein und die Kabine begann langsam nach unten zu schweben. Keiner von uns sprach. Als die Tür sich aufschob, lag vor uns ein langer Gang, der mehr nach einem Tunnel als einem Flur aussah. Der Fußboden und die eng stehenden Wände waren zementgrau und wurden von altmodischen Glühbirnen erleuchtet, die ein Spinnennetz aus Schatten an die Decke warfen.
»Wir sind im Kellergeschoss«, brach Gabe das Schweigen. »Hier unten brauchen wir nicht mehr zu flüstern, weil nie jemand herkommt. Eine Überwachung gibt es auch nicht.«
»Aber was ist mit dem Wachauge auf meiner Etage?«, fragte ich. »Hat es nicht gesehen, wie wir in den Fahrstuhl gestiegen sind?«
»Es schaltet sich nachts ab«, sagte Gabe, »sobald die Türen verriegelt sind. Das zu wissen, nützt dir natürlich wenig. Die Patienten können innerhalb der Sperrstunden ihr Zimmer nicht verlassen, außer jemand begleitet sie. Wir hatten seit Jahren keinen Ausbruchversuch mehr. Dazu sind die Schüler zu sehr auf Gehorsam gedrillt.«
»Oder sie haben zu viel Angst, vor die Tür zu gehen«, stellte
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