Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
gebracht. »Und ich möchte einmal wieder nach draußen«, fügte ich hinzu. »Ich vermisse die Sonne.«
Sie zog die Augenbrauen zusammen. »In deinem Computer gibt es Programme, mit denen du Sonnenschein erzeugen kannst. Wenn du willst, kannst du Wettersimulationen herunterladen, bei denen du sogar braun wirst. Ich empfehle dir sunskin.com. Sehr beliebt ist auch sunstreaks.com.«
Erneut schüttelte ich den Kopf. »Das ist nicht das Gleiche wie die Wirklichkeit.«
Sie dachte einen Moment darüber nach. Dann sagte sie: »Du hast recht. Es ist besser als die Wirklichkeit.«
Mir blieb der Mund offen stehen. Glaubte sie tatsächlich, Simulationsprogramme seien der echten Natur überlegen, die sie kopierten?
»Wie kommen Sie zu dieser Meinung?«, fragte ich. Dabei dachte ich, dass sich unsere Rollen gerade vertauscht hatten. Jetzt stellte ich die Fragen, als sei sie die Patientin und hätte eine Therapie nötig.
Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und blickte nachdenklich in den Raum. »Eine unserer gefährlichsten menschlichen Schwächen ist, dass wir uns nach Dingen sehnen, die uns Schaden zufügen«, sagte sie. »Wir haben nicht die nötige Selbstdisziplin, um unsere Begierden zu unterdrücken. Ständig gehen wir über unsere Grenzen und gefährden uns selbst. Daran kann die ganze Menschheit zugrunde gehen. Unsere Gier kann uns zerstören.«
Ich fragte sie, wieso sie die Sonne für gefährlich hielt.
»Die Sonne ist eine Lebensnotwendigkeit, aber wir verehren sie geradezu. Wir werden von ihr angezogen wie die Motten vom Licht. Wir baden in ihr, dabei ist sie eine Quelle gefährlicher Strahlung. Die Sonne ist Gift für unsere Haut, und trotzdem kennen wir keine Grenzen. Wir lassen uns von ihr verbrennen. Wir scheren uns nicht darum, dass sie Krebs erzeugt. Genauso ist es mit dem Essen. Wir brauchen Nahrung, aber wir stopfen alles in uns hinein, bis wir krank werden. Man darf den Menschen nur eine kleine Dosis ihrer Wünsche erlauben, wenn sie ein glückliches Leben führen sollen. Die Leute brauchen Regeln und Beschränkungen, sonst bringen sie sich mit ihren eigenen Begierden um.«
Ich betrachtete Dr. Stevenson, deren milchweiße Haut bestimmt noch nie von einem Sonnenstrahl berührt worden war. Ihr Alter war schwer zu schätzen, sie konnte dreißig oder auch fünfzig sein. Sie hatte keine Lachfältchen um Augen und Mundwinkel. Tatsächlich entdeckte ich überhaupt keine Falten, aber auch sonst keine Zeichen von Leben. Das bleiche Gesicht wirkte leer und ausdruckslos.
»Menschen mögen es nicht, zu ihrem Glück gezwungen zu werden«, sagte ich.
»Betrachte es nicht als Zwang, sondern als Hilfestellung«, erwiderte sie. »Die menschliche Rasse hält sich für unsterblich und unbesiegbar. Sie verprasst alles, was sie in die Hände bekommt. Sie bildet sich ein, die ganze Welt sei nur zu ihrem Vergnügen da. Selbst die Sonne. Wir Menschen sind von Natur aus egoistisch. Deshalb muss man uns Grenzen setzen, bis wir gelernt haben, uns selbst zu zügeln. Wir sind eine gefährliche Spezies, Madeline. Man darf uns nicht einfach auf den Planeten loslassen, sonst werden wir ihn zerstören.«
Sie holte die Pillendose aus der Tasche ihres Arztkittels und hielt sie mir entgegen. Ich griff gehorsam nach der Tablette, doch meine Gedanken waren so bitter wie das Medikament. Kalte Wut durchpulste meinen Körper. Diese Frau mit ihrem blinden Wissenschaftsglauben kontrollierte mein Bewusstsein, und ich hatte keine Chance, dagegen anzukämpfen.
Aber war ich wirklich machtlos? Oder wollten sie mir das nur einreden?
Ich verschloss meine Sinne und meine Gedanken. Das Center wollte mit Gewalt in meinen Verstand eindringen, aber das würde ich nicht zulassen. Ich stellte mir vor, mein Gehirn sei ein Haus mit vielen Zimmern. Nacheinander verschloss ich alle Türen und vernagelte die Fenster. Hier kommt ihr nicht rein, dachte ich. Ihr seid nicht wirklich. Ich schaue euch nicht einmal an. Mein Haus ist einbruchssicher. Ihr könnt mich hier nicht finden. Ich gehöre euch nicht. Das hier ist schließlich nur mein Körper. Nur eine Hülle, nur ein Stück von mir. Mein ganzes Ich passt nicht in euren Käfig.
Ich hatte die Augen geschlossen, und als ich sie wieder öffnete, begannen sie sofort zu brennen. Ich war von dicken Rauchschwaden umgeben. Kaum schnappte ich nach Luft, musste ich husten und würgen. Schreie drangen mir an die Ohren. Jemand brüllte mich an, ich solle wegrennen. Die Welt war in weiße Asche
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