Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
Wirklichkeit noch bei ihrem Bruder lebte.«
»Und inzwischen habe ich den Eindruck, du hast mir bloß geholfen, um dir selbst zu helfen«, hakte mein Vater nach. »Weil du nicht wolltest, dass ich hierherkomme und herumschnüffele.«
»Du würdest nichts finden«, behauptete Vaughn.
»Hey«, zischte mir Connie ins Ohr und erschreckte mich so, dass ich fast aus den Sandalen hüpfte. »Was stehst du hier herum?«, kläffte sie und schob mich auf die Tür zu. »Rein mit dir!«
Connie musste mich die ganze Strecke zerren, weil meine Füße sich weigerten, auch nur einen Schritt zu tun. Wir betraten ein großes Büro. Die Wandschirme zeigten weitere Landkarten, Zeitungsartikel und Ehrenurkunden, die sich um die Centerarbeit drehten.
Richard Vaughn thronte hinter einem schwarzen Tisch, vor dem mein Vater stand. Ich kannte ihn nur von Fotos. Er hatte eine weiße Haarmähne, die ihm im Einstein-Look vom Kopf abstand, und eine schlanke Figur. Seine blauen Augen studierten mich misstrauisch. Tiefe Falten waren in seine Stirn eingegraben und seine Mundwinkel waren nach unten gezogen.
Mein Vater wirbelte herum, als er uns hörte, und unsere Blicke trafen sich. Ein paar Sekunden lang starrte er mich nur an. Normalerweise verbarg er seine Gefühle besser als jeder Schauspieler, aber für einen flüchtigen Moment sah ich den Schock, den mein Anblick ihm versetzte. Er wirkte, als hätte er einen Geist vor sich, der mit seiner früheren Tochter nur noch vage Ähnlichkeit hatte.
»Madeline?«, sagte er mit fragendem Unterton. Anscheinend erkannte er seine eigene Tochter nicht mehr. Ich hatte seit Wochen in keinen Spiegel geschaut, weil ich das Mädchen nicht ertragen konnte, das mir entgegenblickte.
»Hi, Dad«, sagte ich.
Vaughn musterte mich vom Scheitel bis zur Sohle und rümpfte die Nase über mein heruntergekommenes Aussehen. Ich hatte seit mehreren Tagen nicht geduscht. Meine Haare waren ein klumpiges Wirrwarr, das mir schlaff über die Schultern und bis zur Brust fiel. Ich wusste, dass mein Gesicht abgemagert war und der Schlafmangel dunkle Ringe unter meinen Augen hinterlassen hatte. Meine unfreiwillige Kaffeediät hatte meine Haut bleich werden lassen, und die Anstaltskluft hing von meinen dürren Schultern, die eher an Kleiderbügel erinnerten.
Ich verschränkte die Arme über der Brust und richtete mich auf. Schließlich war ich das Produkt von Vaughns preisgekrönten Methoden. Sein Vorzeigeobjekt. Also sollte er gerne einen ausgiebigen Blick auf mich werfen. Vielleicht dachte er dann anders über sein tolles Projekt.
Vaughn funkelte Connie an. »Wenn ich das nächste Mal eine Patientin herbringen lasse, sorgen Sie gefälligst dafür, dass sie präsentabler aussieht«, befahl er, als sei mein Äußeres nur ein kleines Kosmetikproblem und nicht das Ergebnis monatelanger Psychofolter.
»Natürlich, Sir«, sagte sie.
Mein Vater nahm mein Gesamtbild in sich auf, mein fahles Gesicht, meinen ausgemergelten Körper. Ich schaute ihm in die Augen, und unsere Blicke prallten aufeinander wie zwei kollidierende Züge. Mir war es nur recht, dass er mich so sah. Ich wollte, dass er einen deutlichen Eindruck davon bekam, was im Center vor sich ging.
»Ich habe noch Termine, also falls es sonst nichts zu besprechen gibt …«, sagte Vaughn.
»Nein, ich glaube, das genügt«, sagte mein Vater. Sein Blick wandte sich Vaughn zu. »Ich möchte noch ein paar Minuten mit meiner Tochter sprechen. Allein.«
»Wir erlauben normalerweise keine Besuche.«
»Ich bin sicher, in diesem Fall kannst du eine Ausnahme machen.«
Mein Vater hielt Vaughns Blick fest, bis er nachgab.
»Connie, sorg dafür, dass Madeline hinterher in ihr Zimmer zurückkehrt. Die beiden haben zehn Minuten.«
Connie nickte und mein Vater führte mich aus dem Büro in den Flur. Dazu legte er mir die Hand auf den Rücken und ich versteifte mich automatisch. Er ließ Connie wissen, dass sie uns draußen auf dem Hof finden würde, und öffnete die Eingangstür. Das helle Sonnlicht blendete mich, aber nach der sterilen Atmosphäre im Verwaltungsgebäude genoss ich die Hitze. Wir gingen bis zur Mitte des Hofes, wo mein Vater anhielt und sich zu mir umdrehte.
Er verlor seine ausdruckslose Miene, als er mich ansah. Sein Blick wirkte entsetzt.
»Bist du krank?«
»Mir geht es gut«, behauptete ich.
»Gut? Du siehst aus wie ein Skelett! Was geht hier vor, Maddie?«
Ich betrachtete meinen Vater. Früher als Kind hatte ich ihn bewundert. In meinen Augen war er ein
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