Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
Bloß deshalb hatte ich durchgehalten. Ich hatte kein einziges Mal in die tödliche Tiefe geschaut, wo die Verzweiflung auf mich wartete, weil meine Freunde mich gezwungen hatten, den Blick nach oben zu richten.
Ein fremdes Mädchen hatte mich angesehen. Sie hatte gelächelt. Sie hatte gesprochen. Das Gegenmittel begann zu wirken. Es gab eine Chance, eine echte Chance, die Insassen des Detention Centers zu befreien. Bisher war das nur ein Traum gewesen, doch jetzt verwandelte er sich in Wirklichkeit.
Je mehr ich nach Zeichen von Leben suchte, desto öfter fand ich sie. Die anderen Teenager ließen ihre Zimmertüren offen. Stimmen drangen heraus. Musik schallte in den Flur. Am Essensautomaten standen Mädchen herum und unterhielten sich wie in einem Coffee Shop. Gespräche hingen in der Luft. Natürlich wurde alles vom Wachauge gemeldet, sodass wir zusätzliche Therapiestunden bekamen, aber die MindReader funktionierten nicht mehr.
Das Center kämpfte darum, wieder die Oberhand zu gewinnen. Zusätzliche Sicherheitskräfte wurden eingestellt. Unsere Türen waren nun auch tagsüber verriegelt und wir durften die Zimmer nur mit Begleitung verlassen. Das Auge überwachte jede unserer Bewegungen. Aber das half alles nichts. Wir gewannen.
Ich ließ mich mit einer Tasse Kaffee an meinem Schreibtisch nieder. Nur noch drei Wochen, dann war das halbe Jahr vorbei. Ich konnte die Freiheit schon fast mit Händen greifen. Meine Albträume waren völlig verschwunden. Ich hatte seit über einem Monat keine Sitzung mit Dr. Stevenson mehr gehabt, da ich mich mustergültig verhalten hatte. Ich war in meinem Zimmer geblieben und hatte mich darauf konzentriert, meine Entlassung nicht zu gefährden. Den größten Teil meiner Zeit hatte ich in den DS -Unterricht gesteckt. Meine Strafe war beinah abgesessen, jetzt musste ich mich nur unauffällig verhalten und mich aus Ärger heraushalten. Dann konnte ich ganz legal aus dem Center spazieren und den ganzen Laden dicht machen.
Ich schaltete den Wandschirm an, um eine Rechercheaufgabe zu beenden, die zu meinem Computerethik-Kurs gehörte. Das letzte Projekt meines letzten Abschlussfachs in der Digital School. Doch plötzlich fror der Bildschirm ein. Stirnrunzelnd stellte ich meinen Becher auf dem Tisch ab.
»Hey«, murmelte ich und versuchte, den Computer neu hochzufahren. Stattdessen informierte mich ein blinkendes gelbes Licht, dass ich eine Nachricht hatte. Ich berührte den Farbfleck und las, dass ich heute zu einem Therapietermin eingeteilt war.
Seufzend betrachtete ich den Bildschirm. Wahrscheinlich war das meine Abschiedssitzung, um mir zu erklären, wie meine Entlassung funktionieren würde. Ob mich wohl jemand am Centerausgang abholen durfte? Ich klickte auf die Empfangsbestätigung und der Bildschirm zeigte wieder meine DS -Hausaufgaben an.
Nachdem ich zu Abend gegessen und mein Tablett in den Müllschlitz geschoben hatte, ging ich in Richtung Fahrstuhl. Meine Patientenkluft schlabberte immer noch an mir herum, aber ich hatte genug Gewicht zugelegt, um wieder eine gesunde Gesichtsfarbe zu haben. Auch meine Wangen waren nicht länger eingefallen. Ich fuhr in die Therapieetage, aber als ich den Raum betrat, wartete dort nicht Dr. Stevenson auf mich. Stattdessen stand Richard Vaughn neben dem aus der Wand geklappten Sitz. Ich blieb ruckartig stehen. Dann wich ich unauffällig zurück, als hätte ich mich in der Tür geirrt.
»Madeline«, sagte er mit einem überfreundlichen Lächeln und winkte mich herein. »Setz dich doch.« Er zeigte auf den Stuhl neben sich. Stehend war er größer, als ich ihn eingeschätzt hatte und überragte sicher sogar Justin. Er hatte die Hände in den Taschen seines langen weißen Arztkittels vergraben, der ihm fast bis zu den Knöcheln reichte.
Sobald sich die Tür hinter mir schloss, strahlten die Imaginärschirme auf. Klassische Musik drang aus den Lautsprechern, elegante Violinen- und Celloakkorde. Sie klangen dramatisch und melancholisch wie der erste Lichtblick nach einer Tragödie. Ich schaute mich um und befand mich inmitten der schönsten Postkartenlandschaft, die ich je gesehen hatte. Der Himmel war tiefblau, wolkenlos und hing über uns wie ein Baldachin. Wir befanden uns nicht länger im Center, sondern auf einer Hügelkuppe mit Blick auf ein grünes Tal. Vaughn und ich standen auf einer alten Asphaltstraße, die sich sanft durch die Landschaft wand. Die Hügel erstreckten sich bis zum Horizont und erinnerten an ein Erdmeer voller
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