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Kontakt mit der deutschen Raser-Mentalität. Ich habe mal das Experiment gewagt und bin mit Tempo 120 über die linke Spur gekrochen. Ich hatte nach fünf Minuten einen Audi A8 im Nacken! Und der ließ nicht locker! Ich hatte zwei Wochen später noch die Abdrücke von den Audi-Ringen im Nacken!
Wir sind ein Volk der Raser, das muss man leider sagen. Und Rasen macht viele Menschen aggressiv. Ich verbringe viele Wochen im Jahr auf der Autobahn. Ich habe schon alles gesehen. Und ich wundere mich immer wieder über die kriegsähnlichen Zustände. Wir sind alle mehr oder minder zivilisierte Menschen im Alltag, aber sobald wir auf der Autobahn sind, ist es damit schlagartig vorbei. Hakan hat mir mal von einem Erlebnis erzählt, das er auf der A3 hatte.
Er überholte mit seinem 3er-BMW einen Wagen, ein ganz normaler Vorgang. Dachte Hakan. Das sah der überholte Wagen anders: Er betätigte die Lichthupe. Vermutlich wollte er ihm damit morsen, dass er mit dem Überholvorgang nicht einverstanden war. Also überholte er wiederum Hakan und machte seine Nebelschlussleuchte an. Also hat Hakan ihm mit der Lichthupe zurückgemorst, dass er ihn mal kann und ihn wieder überholt. Daraufhin schmiss der andere sein Warnblinklicht an, während Hakan aufblendete … jede Großraumdisco wäre auf diese Light Show neidisch gewesen!
Aber dann holte der Kollege zu einem Schlag aus, den Hakan so noch nicht gekannt hatte: Er überholte ein weiteres Mal, und als die beiden auf gleicher Höhe waren, betätigte er die Scheibenwaschanlage. Doch die Scheibenwaschflüssigkeit landete auf Hakans Windschutzscheibe! Wie perfide und überraschend! Seitdem hat auch mein Kumpel den Winkel der rechten Spritzdüse verstellt – es geht ganz einfach. Aber der Effekt ist einfach umwerfend!
Ich liebe Autobahnkrieg, weil es so lächerlich ist. Aber ich mache ihn nicht mit. Meistens fahre ich sehr defensiv und bleibe schön brav auf meiner Spur. Das liegt unter anderem an den unberechenbaren Lkws.
Lkw-Fahrer blinken zwar, aber nicht, um zu signalisieren: „Ich beabsichtige, die Spur zu wechseln”, sondern um anzuzeigen: „Ich bin schon dabei, die Spur zu wechseln. Und du machst besser Platz. Es ist mir egal, ob du eine Vollbremsung machen musst oder in die Leitplanke rutschst. Ich bin nämlich zig Tonnen schwerer als du. Du kannst froh sein, dass ich überhaupt den Blinker gesetzt habe.”
Auf diese Diskussionen habe ich keine Lust. Darum bleibe ich gerne in der Mitte. Selbst wenn ich wollte, ich käme mittlerweile gar nicht mehr auf die linke Spur! Es ist Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, die Hosen herunterzulassen, sich zu outen und meinen Lesern exklusiv zu gestehen: Ja! Ich bin Mittelspurfahrer!
Wenn ich auf der Mittelspur unterwegs bin und sehe 20 Kilometer vor mir einen Lkw rechts, dann bleibe ich lieber schön da, wo ich bin! Ich bin ja auf einer Autobahn, und nicht auf einer Slalompiste! Aber ab und zu verirrt sich so ein Pandabär oder ein sandfarbener VW Jetta, der nur unwesentlich jünger ist als seine 84-jährige Erstbesitzerin hinterm Steuer, auf die Mittelspur – auf MEINE Mittelspur!!! –, und selbst ich, Mr. „Middle of the road”, verspüre das dringende Bedürfnis zu überholen! Aber wie? Ich will ja, aber ich komme einfach nicht auf die linke Spur!
Rückspiegel? Alles frei!
Außenspiegel? Alles frei!
Blinker setzen – wwwwrummmmm ...
… BMW Z3 links vorbeigeflogen.
Herzinfarkt.
Tempo drosseln.
Durchatmen.
Nachdenken.
Na klar, selber schuld!
Du hast den Schulterblick vergessen.
Noch mal von vorne:
Rückspiegel? Alles frei!
Außenspiegel? Alles frei!
Schulterblick? 20 Kilometer niemand zu sehen!
Blinker setzen – wwwwrummmmm ...
… Audi TT links vorbeigeflogen.
Herzinfarkt.
Tempo drosseln.
Durchatmen.
Nachdenken.
Schön auf die rechte Spur ausweichen, hinter dem Brummifahrer ist auch noch Platz. Der Standstreifen wäre noch besser, aber der ist leider nicht frei – da fährt ein Schweizer. Ich grüße ihn durchs geöffnete Seitenfenster: „Grüezi, wie geht’s?”
„Ja, super geht’s hä? Sie sind aber schnell hier in Deutschland!”
Ausländer empfinden das Fahren auf deutschen Autobahnen oft als gewöhnungsbedürftig. Ich hatte kürzlich Besuch aus England, von zwei klassischen Londonern: Pradeep und Sarbdeep. Verwandte von meinem Kumpel Ranjid. Sie besuchten einen Auftritt von mir, und danach sind wir in die nächste Stadt gefahren. Mein Tour-Manager saß am Steuer, ich auf dem
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