Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Kaas
Vom Netzwerk:
Einzigartigkeit dessen, was wir erleben, bewusst, dieser plötzlichen Weite, dieses erstaunlichen Landes Russland …
    Schon in dem Zug, der uns nach Leningrad bringt, wird die Atmosphäre eisig. Cyril und ich teilen uns ein Abteil wie in dem Film Der unsichtbare Dritte , es ist nur nicht so komfortabel. Der Barwagen befindet sich direkt hinter uns, die Stimmen der alkoholisierten Gäste halten uns vom Schlafen ab, ohne in unserem Abteil eine fröhlichere Stimmung aufkommen zu lassen. Cyril und ich stecken mitten in einem sehr ernsthaften Gespräch. Ich versuche, ihm meine Verstörung begreiflich zu machen, denn ich entferne mich unaufhaltsam von ihm. Unsere Liebesbeziehung kann keine mehr sein … Es
ist mir nicht gelungen, unsere beiden Beziehungen, die der Liebe und die des Berufs, miteinander in Einklang zu bringen. Wir haben es nicht verhindern können, dass die eine auf die andere einwirkt und umgekehrt. Wie kann man sich bei der Arbeit anbrüllen und dann nach Hause gehen und alles vergessen? Wir werden kein Paar mehr sein, aber wir werden immer zusammenbleiben. Er wird immer für mich da sein, ganz gleich, wo und wann. Er wird sein Versprechen halten und von einer Liebe erfüllt bleiben, die noch größer ist als die, die wir beide erlebt haben.
    Doch jetzt im Zug sind wir traurig, und die Dunkelheit, die hinter den Fenstern vorbeizieht, spiegelt erbarmungslos unsere Gesichter. Also bin ich ein wenig düsterer Stimmung, als ich aus dem Zug steige … Cyril ergeht es nicht anders.
    Â 
    Einige Monate zuvor, am 9. November 1989, fiel die Berliner Mauer. Deutschland wird sich wiedervereinigen, aber der Ostblock bleibt vorerst, was er ist. Die so lange hermetisch verschlossenen Grenzen sind immer noch nicht passierbar. Und wenn man sie passiert, ganz gleich, in welche Richtung, findet man sich auf einem anderen Planeten wieder, vor einer anderen Bergwand. In einer anderen Welt.
    Als wir 1990 in der UdSSR ankommen, sind wir überrascht über das, was wir erleben. Ich erinnere mich noch an die sehr lastende, eisige, behördenhafte Atmosphäre. Von amtlicher Seite wurden uns Dolmetscher als Begleiter zur Verfügung gestellt. Oder auch als Aufseher und Bewacher. Tatsächlich begreifen wir bald, dass sie das auf uns gerichtete Auge Moskaus sind. An den Konzertabenden werden so weitgehende Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, dass ich mich fast wie in einem Zeugenschutzprogramm fühle. Fünfzehn beeindruckende
Gorillas sind ständig da, begleiten uns zum und vom Wagen. Sie sind von unserer Sicherheit besessen.
    Wie im Film.
    Zugleich ist das Sowjetsystem für uns eben nicht mehr eine Legende in Schwarz-Weiß, sondern eine Realität, in die wir bei meiner ersten Tournee eintauchen. Alles ist gleich, nichts darf hervorstechen. Die Männer tragen alle dunkle Anzüge, das Menü bei den Mahlzeiten ändert sich nie, alles ist grau, gedämpft, kalt und unbehaglich.
    In unserem Hotel in Moskau, in dem wir eine Woche lang wohnen, erfahren wir, was Kommunismus im Alltag heißt. Man braucht etwa eine halbe Stunde, um zu seinem Zimmer zu gelangen. Es geht durch endlose, nicht durchgängig beleuchtete Flure. Und was für Zimmer! Sie gleichen einander wie ein Ei dem anderen. Eines Abends, als ich meine Landeskenntnisse mithilfe einer größeren Menge Wodka vertieft habe, mache ich mich auf einen nächtlichen Rundgang durch sämtliche Etagen des in die Jahre gekommenen Palastes.
    Â 
    Es ist ein kommunistisches Land, doch das Publikum zerfällt, ganz gleich, wo ich auftrete, in zwei Klassen. In den Konzertsälen sitzen die VIPs vorn und das Volk hinten. Als sei es nur zusätzlich da, als regloser Statist im Graben, als menschliche Kulisse für die Großen an der Macht. In den Hintergrund verbannt. Im Vordergrund Uniformen und Militärs wie in der Operette. Michail Gorbatschow, der fünf Jahre zuvor an die Macht gekommen ist, hat das Außenbild der UdSSR, den Blick des Westens auf sie, verändert. Doch im Innern hat das Land die zu steifen und zu grauen Gewänder noch nicht abstreifen können. Wenn man sieht, wie die Sicherheitsleute
das Publikum in Schach halten und die Tribünen nach einer militärischen Hierarchie besetzt werden, hat man nicht den Eindruck, dass das sowjetische Regime flexibler geworden ist.
    In Leningrad klemmt das Publikum in den Sitzen hinter den Offiziellen und darf sich nicht rühren, weil

Weitere Kostenlose Bücher