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Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Kaas
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lau. Ich bin zu müde, als dass ich schlafen könnte.
Das Team witzelt herum und kommentiert die Vorstellung. Jeder erzählt, was er von seinem Platz aus gesehen hat. Von der Bühne aus haben wir alle dasselbe Schauspiel erlebt: eine unglaubliche Menschenflut, die sich durch die kleinen Eingänge des für fünftausend Zuschauer ausgelegten Theaters zwängt. Zehntausend sind es, die sich in den Rängen, im Graben und bis an die Bühne drängen. Sie werden ungeduldig. Wir sind drauf und dran, das Konzert wegen eines Problems mit der Tontechnik abzusagen. Wir versuchen, es zu lösen, und verspäten uns dadurch. Aber es ist nichts zu machen, ich kann nicht zurück auf die Bühne, dort kann man mich nicht mehr live singen hören. Man hört nur den Rückschall der für das Publikum bestimmten Lautsprecher. Was für die Musiker und mich ein echtes Problem ist.
    Doch jetzt, wo wir vor den Leuten stehen, müssen wir etwas tun. Und wir tun es, aber im Publikum, da, wo man mich hören kann. Als ich die ersten Noten singe, geht das Lärmen sofort in eine fast religiöse Stille über. Ich bin gerührt von diesem leidenschaftlichen Lauschen und zugleich froh, aus dem Schneider zu sein. Die Gegenwart der Menschen ist für mich wie eine Umarmung und ein stummer Kuss, ein heiliger Kuss. Ein Kuss, der ohne Worte und Versprechungen auskommt, ein Kuss ohne Verrat. Ein rückhaltloser Kuss. Tunesien werde ich so bald nicht vergessen!
    Dieser Abend ist etwas Besonderes, Halsbrecherisches, Intensives. Wie eine Polaroid-Aufnahme, die nicht verblassen kann. Ich liege also auf den Polstern und sehe in den wie mit Pailletten besetzten Himmel. Die Sterne sind die Konzerte dieser Tournee: Russland, Frankreich, Kanada, Deutschland, Japan. Insgesamt zweihundertfünfzig Vorstellungen. Diese erste Weltreise sitzt mir in den müden Knochen.
Trotzdem verspüre ich nach dem Auftritt immer das Bedürfnis, noch ein paar schöne Stunden mit meinem Team zu haben.
    Ich halte die Entfernungen, den Bühnenstress, die Reisen, die immer gleichen Hotels nur aus, weil mich die Zuhörer, denen ich begegne, tragen. Ein Sprint in einem endlosen Rennen. Ich gehe, wohin mich die Liebe der Menschen ruft. Ich laufe vor meinem Schmerz davon, ich lindere das Brennen meiner Wunde mit einem Balsam aus Licht und der flüchtigen, herrlichen Liebesbeziehung mit der Menschenmenge. Ich berausche mich an den Konzerten, ich bin völlig high, in meinen Adern ist die stärkste Droge, das größte künstliche Paradies: Bühne und Vorstellung. Ich bin wie unter Narkose. Ich bin imstande, den Schmerz nicht mehr zu spüren. Statt zu versuchen, mich mit ihm auseinanderzusetzen, dominiere und kontrolliere ich ihn, weiche ich ihm aus.
    Wenn es mir abends endlich gelungen ist, die Arbeitsmaschine, zu der ich geworden bin, einzuschläfern, denke ich unwillkürlich an das kleine Mädchen, das genau diesen Traum hatte. Wusste es, dass er sich so schnell und so heftig verwirklichen würde?
    Â 
    Der Terminkalender ist voll. Cyril und Richard erkennen, wie belastbar ich bin, dass ich ohne mit der Wimper zu zucken in fünfzig verschiedenen Ländern einen Rosenkranz von Auftritten ableiste. Ich beklage mich nicht. Dazu hat man mich nicht erzogen. Bei mir zu Hause, wo man wirklich Grund genug gehabt hätte, hat sich nie jemand über sein Los beklagt. Obwohl mein Vater so viel aushalten musste, habe ich ihn nie sagen hören: »Ich kann nicht mehr, ich hab die Schnauze voll!« Mit welchem Recht also dürfte ich, die ich doch reisen
darf, mein Geld mit Singen verdiene und wie eine Prinzessin behandelt werde, mich beklagen?
    Ich liebe meinen Beruf, und ich mag dieses ein wenig abenteuerliche, spannende Nomadenleben. Ich finde es herrlich, die ganze Welt zu bereisen, jeden Abend in einem anderen Bett zu schlafen. Ein ständiger Tapetenwechsel. Und die Aufregung vor dem Auftritt, der Rausch während der Vorstellung, das Staunen jedes Mal, wenn ich zum ersten Mal in einem Land ankomme. Mein Alltag ist ein Gewebe aus Abenteuern.
    Und manchmal gibt es in dieser unablässigen Bewegung kleine Oasen der Liebe, wie Lampions in der bewegten Luft eines Balls. Und in meinem Gedächtnis. Wie dieser Freund, mit dem ich eine kurze außerirdische Leidenschaft erlebte. In Schottland, in einem zauberhaften Hotel, dessen Zimmer statt Nummern Dichternamen trugen. Eine Woche lang war ich für diesen

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