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Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Kaas
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mit mir.
    Sie haben nichts, aber sie geben mir alles. Ich habe bemerkt, wie arm sie sind, wie karg ihre Lebensbedingungen — aber auch, wie großzügig sie sind. Ich habe bemerkt, dass sie sich oft nicht satt essen können. Die Lebensmittelmarken reichen nicht aus, um sich gut zu ernähren, und nur ein Apparatschik kann sich auf dem Schwarzmarkt versorgen. Der Monatslohn eines normalen Russen beträgt um die drei oder vier Dollar. Aber zu Tausenden geben sie den Gegenwert eines Dollars aus, um mich singen zu sehen. Ich ermesse, wie viel sie opfern und wie viel ich ihnen bedeute.

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    Sie wollen mir ihre ganze Kultur zeigen. In jeder Stadt besuchen wir sämtliche lokalen Denkmäler. Fremdenführer erweitern unser Gefolge von Dolmetschern, die zugleich KGB-Bedienstete sind, von Leibwachen und Offiziellen, die uns nicht von der Seite weichen. Erst ein Mausoleum, dann eine Kathedrale, ein Schwimmbad, das bei den Olympischen Spielen genutzt wurde, und schließlich ein Museum. Ein intensives Kulturprogramm, dem ich jedoch das menschliche Programm vorziehe.
    Ich finde es interessant, Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, aber es sind vor allem die Leute, die mir im Gedächtnis bleiben. Das Lenin-Mausoleum ist schön, zugegeben, aber ich erinnere mich viel genauer und mit viel mehr Rührung an einen Besuch, den wir später, während der Tournee Rendezvous , den Schülern des nationalen Musikkonservatoriums in Weißrussland abstatteten. Die Begabtesten, wahre kleine Virtuosen, gaben uns zu Ehren ein Konzert. Sie setzten sich, oft in einer sehr unbequemen Haltung, ans Klavier. Mangels Geld hatten sie keine Klavierhocker. Und deshalb waren bei manchen der angehenden Pianisten die Tasten etwa auf Nasenhöhe! Das konnte ich nicht vergessen, ich dachte immer wieder daran und stiftete ihnen schließlich richtige Klavierhocker.
    Auch sie machen mir Geschenke, kleine Dinge, die mich rühren, weil ich weiß, was sie bedeuten. Wie der kleine Plüschbär, den mir eine Dame zu Weihnachten schenkte, als wir sie besuchten, weil sie bei einem Spiel gewonnen hatte. Ich erinnere mich an ihre hübsche Wohnungseinrichtung, die gestickten Deckchen und ihr strahlendes Lächeln, als sie mir das Geschenk überreichte.

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    Ich liebe diese Slawen, wie sie mich lieben. Von ganzem Herzen. Einem großen und empfindsamen Herzen. Sie sind fast mein drittes Vaterland. Ich bin erst vierundzwanzig und ich spüre, dass man mich in diesem riesigen Land als Star empfindet. Als ich in jenem Jahr nach Moskau komme, bin ich zu einer Direktübertragung vom Roten Platz aus eingeladen. Dort hat alles begonnen; und als wir im Jahr darauf wiederkommen, kommen wir in prallvolle Säle und Stadien. Ich mache weitere Sendungen, und meine Lieder haben triumphalen Erfolg. Ich fühle mich geschmeichelt. Wer täte das nicht? Ein ganzes Volk jubelt mir zu wie einem Bild der Freiheit, einer russischen Puppe. Wie einer Madonna des Ostens.

9
Selbstbestimmt
    Es ist meine erste Tournee, trotzdem habe ich schon beschlossen, mein anstehendes zweites Album, Scène de Vie  — Bühne des Lebens  –, genau dort vorzustellen, auf der Bühne. Das ist in unserer Branche ziemlich unüblich, aber ich riskiere gern etwas. Wie schon bei Mademoiselle chante … ist es ein Meisterstück von Barbelivien und Bernheim. Mit unvermindertem Talent schreiben sie einen Titel, der Eindruck machen wird: »Les hommes qui passent« — Die Männer, die vorübergehen. Doch der Riese ist nicht mehr an meiner Seite. Ich habe ihn besucht, weil ich dachte, er würde mitmachen. Ich habe ihm von meinem Projekt erzählt und dabei versehentlich eine Taktlosigkeit begangen: Ich sprach von meinem Wunsch, zusätzlich zu seinen Maschinen auch mit echten Musikern zusammenzuarbeiten. Er sah mich kühl an und sagte nur: »Soso, du willst echte Musiker, da ist die Tür!« Also ging ich. Jean-Jacques Souplet wird die Regie über Scène de Vie übernehmen.
    Â 
    Wir sind erschöpft von der langen Tournee, von all den Konzerten. Und an diesem Abend auch von zu viel Emotionen. Wir fläzen uns in die schönen Polster im Patio des Palais, in dem das französische Kulturzentrum in Tunesien untergebracht ist. Die Jungs, die noch den Orangenblütengeschmack der Kuchenstückchen im Mund haben, rauchen eine Wasserpfeife. Nach der drückenden Hitze des Nachmittags ist die Luft nun

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