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Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Kaas
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mec à moi«  – Mein Kerl  – zu singen. Und zu Beginn des Refrains passiert es. Ich schicke meine Stimme zu tief in den
Keller. Alle Anzeigen sind im roten Bereich, und leider kann das Mischpult es nicht ausgleichen. Was mir wahrscheinlich bei Richard keine Pluspunkte einbringen wird …
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    An diesem Abend auf der Bühne in La Rochelle erlebe ich so etwas wie einen kleinen Höhepunkt mit dem Publikum. Dabei ist es gar nicht mein Publikum, es ist das von Michel Jonasz und daher sehr anspruchsvoll. Es empfängt mich mit offenen Armen. Auf der Bühne bin ich anders, ich fühle mich stark, zuversichtlich, selbstsicher. Dort oben verliere ich die Zurückhaltung, die mir im Leben eigen ist. Ich spalte mich auf, verzehnfache mich, verwandle mich. Ich habe vor nichts mehr Angst. Das Publikum gerät in Bewegung, in Schwingungen. Ich habe die Prüfung bestanden. Ich werfe einen Blick Richtung Mischpult, zu Richard, der mich aus großen Augen ansieht, völlig hin und weg von dem, was er gerade gesehen und gehört hat. Jetzt ist er überzeugt.
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    Zusätzlich zu meinem Bühnenerfolg und zum Erfolg meines ersten Albums habe ich die Befriedigung, Geld zu verdienen. In der Rumpelkammer hatte ich es von fünfzig zu achtzig D-Mark gebracht, aber für ein Bankkonto war ich nicht reich genug. Jetzt habe ich ein Scheckbuch und kann mir einen Wagen kaufen. Der Preis des kleinen grauen Honda CRX erschreckt mich: hundertachtzehntausend Francs! Eine Riesensumme. Astronomisch. Ich steige in ihn ein wie in eine Karosse, mit einem Kleinmädchenlächeln auf den Lippen. Ich lege den Sicherheitsgurt an und nehme die A4 Richtung Straßburg. Ich fahre zum Krankenhaus. Im Wagen kann ich in Ruhe und unbeobachtet weinen. Meiner Qual ein wenig freien Lauf lassen.

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    Ihr Zustand hat sich verschlechtert. Ich finde, sie ist noch magerer, noch blasser, noch gelblicher geworden. Seit sich der Frühling wieder zeigt und es draußen schön ist, versuche ich, sie mit in den Park des Krankenhauses zu nehmen, damit sie ein paar Schritte geht, frische Luft bekommt, den Frühling spürt. Bis zum Fahrstuhl geht Maman sehr langsam, sie ist schnell außer Atem, leicht zu entmutigen. Auf ihrem Gesicht liegt die Maske, die ich so hasse, diese zu großen, starren Augen, dieser sinnlos geöffnete Mund, diese äußerste Anspannung … Wir erreichen den Fahrstuhl und teilen ihn mit einer Dame. Die, verglichen mit Maman, bestens in Form zu sein scheint. Geschminkt, schick angezogen, parfümiert. Sicher eine Besucherin. Sie sieht mich an und sagt: »Aber Sie kenne ich doch!« Ich lächele ihr scheu, aber zustimmend zu und sehe dann, wie Maman erstrahlt. Die weiße Gipsschicht über ihrem schönen Gesicht ist verschwunden. Ich habe sie wieder, voller Leben, stolz, glücklich. Dank dieser Dame, die mich erkannt hat, habe ich sie wieder. Ich möchte sie festhalten, und deshalb fixiere ich sie durch den Tränenschleier hindurch. Sie ist wie befreit von ihrem Martyrium, von einem riesigen Gewicht. Aus ihrer Patricia ist Patricia Kaas geworden.
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    Â»Patricia Kaas!«
    An diesem Abend findet ein Gesangswettbewerb statt, aber nicht so einer wie die, bei denen ich früher in meiner Heimatregion mitmachte. Es ist eine ganz andere Liga. Es geht um die Victoires de la Musique, was den Césars der Musik entspricht. Das Publikum, das mir heute Abend applaudiert, besteht aus Musikprofis, Künstlern, Angehörigen von Plattenfirmen, Impresarios, Radioredakteuren, Musikjournalisten.
Für den Victoire, den Sieg, im Bereich »Entdeckung des Jahres, weibliche Interpretin« wurde soeben mein Name genannt, der noch wie ein Trompetensignal in mir nachhallt. Ich gehe wieder auf die große Bühne des Zénith, wo ich gerade noch gesungen habe, um die Trophäe entgegenzunehmen. Ein wenig schwankend und ängstlich, weil ich gleich eine Erklärung abgeben soll. Er ist beeindruckend, der Saal des Zénith, so voller Leute, die alle zur Szene gehören, eins sind, wie ein Block. Und trotz ihres Wohlwollens — schließlich hat sie mich gerade geehrt — finde ich diese Menge beunruhigend. Sicherlich verdiene ich diese Anerkennung, aber ich habe immer sehr schnell das Gefühl, eine Hochstaplerin zu sein, ich frage mich, ob sich die anderen, die mich feiern, nicht getäuscht haben. Ich wage es nicht, den Lorbeer anzunehmen, meine

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