Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
Kleid durchnässt und die Illusion perfekt. Man hält mich für nackt, weil man mich so sieht. Mein jetzt durchsichtiges Kleid verhüllt mich nicht mehr. Ich sehe eher unanständig als sexy aus.
Binnen einer Sekunde versetze ich das männliche Publikum in Aufruhr. Ohne jede Zurückhaltung drängt es zu den Gerüsten, auf die man die Bühne gebaut hat. Starr vor Schrecken sehe ich ganze Horden Vietnamesen auf mich zustürmen. Die Stühle der Würdenträger fliegen durch die Luft, die Absperrungen sind gefallen, die Menge stürzt nach vorn. In meine Richtung. Ich singe weiter, aber als ich das metallische Knirschen der Gerüste höre, die unter dem Druck von zehntausend Zuschauern wanken, höre ich auf.
Der Anblick meines Körpers hat sie verrückt gemacht. Was mich natürlich rührt, aber hier, in Vietnam, ist eine solche Wirkung leicht zu erzielen. Nach einem langen Embargo
hat sich das Land nur um eine Winzigkeit für Ausländer geöffnet. Nach vielen Jahren der Unterdrückung kann die Bevölkerung ein wenig aufatmen. Die Menschen haben sich noch nicht erholt und brauchen Zeit, um sich wieder an mehr Freiheit zu gewöhnen. Ich fühle mich wirklich geschmeichelt, aber es wäre mir lieber, sie würden die Bühne nicht zum Einsturz bringen ⦠Ich habe Angst. Ich bedaure die Sache mit dem Kleid, bis in der Times ein sehr schmeichelhafter Artikel erscheint, und zwar unter dem Titel »French Madonna rocks Hanoi«. Als groÃer Fan von Madonna weià ich das Kompliment zu schätzen.
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Ich habe gerade meine zweite Tournee begonnen, meine Tour de charme mit hundertfünfzig Konzerten in Asien, Deutschland, Finnland und auch in London. Und vor allem, als groÃe Premiere: in den USA! Wie immer genieÃe ich die Tournee, aber dieses Mal fällt es mir schwer, Papa zurückzulassen. Seit Maman gestorben ist, geht es ihm nicht gut. Er lässt sich gehen, trinkt ein bisschen zu viel und lacht nicht mehr. Er wird alt. Mir ist, als hätte ich ihn auf der anderen Seite der Welt im Stich gelassen. Ich bin am anderen Ende des Planeten, in Asien, im Osten. In Japan.
Wir sind mitten auf dem platten Land, und der Himmel ist uns wohlgesonnen. Sein Blau ist ebenso tief, wie das Wasser des Bächleins klar ist. Ich kann atmen. Ich trage einen herrlichen graublauen Kimono, der mich entspannt wie ein Bad in grünem Tee. Vogelgesang begleitet das Plätschern des Baches. Wir schwelgen bei einem köstlichen japanischen Fondue, das man hier Shabu-Shabu nennt. Ich sehe Cyril an, und er lächelt mir zu. Wir essen in einem kleinen abgelegenen Haus, im Schneidersitz. Wirklich, ich genieÃe diese Ruhe, diese Art
zu leben, diese Insel Japan. Ich fühle mich wohl, ich überwinde meine Ãngste.
Wenn ich mich so wohlfühlen kann, entspanne ich mich. Vor allem ist das Essen hier hervorragend, aromatisch, gesund und raffiniert. Wir gehen von einem Teppanyaki zum anderen. Ich bin geradezu süchtig nach diesen japanischen Restaurants, in denen man vor den Augen der Gäste auf einer heiÃen Metallplatte kocht. Und zwischen diesen kulinarischen Genüssen singe ich.
Der klare Himmel Japans besänftigt mich für eine Weile ⦠Wirklich, ich liebe Asien. Ich entdecke die Reisfelder, die Tempel, die Flüsse. In Vietnam fahre ich in einem Boot über den Mekong und lasse mich von Claude Gassian fotografieren. Ein Augenblick fotografischer Magie. Bevor wir auf das Wasser gingen, hatten wir einen wunderbaren Termin bei den vietnamesischen Landstreitkräften, wo ich mit Helmen für den Fotografen posierte. Das auÃerordentlich friedvolle Wasser des Mekong schlägt mich in seinen Bann. Wie ein Geheimnis, das sich langsam offenbart. Wir gleiten ruhig darüber hin, und ich bin wie verzaubert von diesem Ort und diesem Moment. Es gelingt mir fast, im Hier und Jetzt zu sein, obwohl ich doch sonst alles nur halb bewusst erlebe. Vom Motorgeräusch und dem leisen Plätschern des Wassers gegen den Schiffsrumpf gewiegt, blicke ich auf den Mekong. Doch plötzlich stoppt das Boot. Eine Motorpanne. Das Problem wäre leicht mit Rudern zu lösen, doch im Augenblick haben wir keine. Wir sind mitten auf dem Fluss, und vor uns zeichnet sich ein groÃes Schiff ab. Es könnte uns sehr leicht übersehen und überfahren. Wir haben nicht genug Zeit, um uns aus seiner Bahn zu retten. Mein Blick hängt an den Bewegungen des
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