Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
maskierten Besucher bin ich in meinem Nachthemd und mit meiner nutzlosen Waffe lächerlich wehrlos. Ich halte den Atem an. Obwohl ich noch nicht ganz wach bin, suggeriert mir mein Gehirn die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten in aller Klarheit. Ich beschlieÃe, das Licht anzuknipsen, dann kommt er entweder herein  â schlieÃlich hat er zu diesem Zweck eine Scheibe eingeschlagen  â oder er verschwindet, weil er nicht damit gerechnet hat, mir zu begegnen. Er zögert einige Sekunden und entscheidet sich für Letzteres. Sein Schatten verschwindet in der Dunkelheit. Ich stehe barfuà und stocksteif da, eine dumpfe Angst pocht in meinen Adern. Als ich mich wieder gesammelt habe, rufe ich die Polizei, die Balkon, Fensterbrett und Dachrinnen genau untersucht. Sie findet ein Paar Handschuhe und die Gasmaske. Jetzt habe ich wirklich Angst.
Ich erzähle es Alain Delon. Er reagiert wie ein fürsorglicher Vater. Er findet jemanden, der mich im Falle physischer Gewaltanwendung schützen kann. Von jetzt an habe ich ständig einen Leibwächter bei mir. Da meine Wohnung nicht sehr
groà ist, habe ich ihn nicht lange behalten. Nun sind viele sehr besorgt um mich.
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Alles ist komplizierter geworden. Jede Reise erfordert Vorbereitungen, ich werde rund um die Uhr begleitet, alle meine Konzerte beginnen mit Verspätung, weil die Besucher an den Eingängen kontrolliert werden. Ich habe einen Leibwächter, der vorläufig im Wohnzimmer schläft, scharenweise Polizisten, und ich muss den Stress dieser wachsamen Armee ertragen. AuÃerdem hasse ich diese Lebensweise à la: »Ich bin ein amerikanischer Star und habe Leibwächter mit Sonnenbrille.« Es erinnert mich zu sehr an das Russland meiner Anfangszeit, an seine schlechten Seiten, die dunklen Anzüge, die wie Schatten an meinen Hacken klebten, an die lastende Atmosphäre. An manche Konzertorte werde ich auf dem Luftweg befördert. In Carcassonne klettere ich aus einem Hubschrauber! Es ist lächerlich und peinlich, ich ertrage es nur mit Mühe. Doch das Schlimmste sind nicht die praktischen Einschränkungen, das Schlimmste ist das Klima von Schrecken, Argwohn und Paranoia, in dem mich dieser Kerl zu leben zwingt. Dafür hasse ich ihn. Er hat meinen Blick auf meine Fans verändert. Jede Liebeserklärung, jede ein wenig übertriebene Freundschaftsbekundung, jede ein wenig zu nachdrückliche Präsenz weckt mein Misstrauen. Ich zweifle an allem, und das ist schrecklich. Ich fürchte mich jetzt vor Dingen, die mir vorher gar nicht auffielen.
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Eines Tages bekomme ich Fanpost. Ich öffne den Brief und finde folgende Botschaft: »Ich warne Sie, mein Typ ist in Sie verliebt, er hat Sie um ein Autogramm gebeten, Sie haben nicht geantwortet, ich warne Sie, er ist gefährlich geworden,
er trinkt, er ist bewaffnet, schützen Sie sich.« Ich gebe der Polizei Bescheid, die die Sache sehr ernst nimmt und mir für meine Konzerte Personenschutz zur Verfügung stellt.
Ich stehe in Besançon auf der Bühne und singe gerade die ersten Takte von »Il me dit que je suis belle«. Da sehe ich, wie ein Mann aufsteht, er hält einen Rosenstrauà in der Hand. Er kommt langsam, aber, so scheint mir, entschlossen auf die Bühne zu. Wie oft ist es schon vorgekommen, dass Fans aus dem Publikum zu mir kommen, um mir Blumen zu schenken? Mädchen und Jungs, Heteros und Homos, die übrigens unter meinen Bewunderern ziemlich gut vertreten sind. Wie oft war ich gerührt, wenn ich sah, wie sie ihre Schüchternheit überwanden und mit einem Geschenk zu mir vorzudringen versuchten. Doch jetzt habe ich das Gefühl, ich sei die Hauptdarstellerin in einem schlechten Film, in dem ich auch noch schlechte Karten habe, ich zittere beinahe. Ich werfe einen verzweifelten Blick auf die Musiker und die Techniker, versuche, ihnen begreiflich zu machen, dass etwas nicht normal ist. Der Mann ist noch über zehn Meter von der Bühne entfernt, da packen ihn die Sicherheitskräfte, werfen ihn zu Boden und schaffen ihn dann etwas unsanft zur Seite. Erleichtert und ohne weitere Zwischenfälle bringe ich mein Konzert zu Ende. Danach erkundige ich mich nach der Identität des Verdächtigen. Vielleicht ist er der Neurotiker, von dem in dem Brief, den ich tags zuvor erhalten hatte, die Rede war. Ich erfahre, dass der Mann die besten Absichten hatte. Er war nur ein Fan, der sich freute, mir nahe
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