Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
betrübter Blick scheint mich an die Ströme der vergossenen Tränen zu erinnern. Ich werde eine Vergangenheit hinter mir lassen müssen, die mich zerstört, die mich zeichnet, eine Vergangenheit, die mich härter macht. Eine Seite umwenden, die Platte, den Zyklus, die Umgebung wechseln ⦠Und jetzt erst einmal nach New York zurückkehren und mein Album machen.
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Neue Horizonte
Diese Einspielung wird mich meinen Schmerz nicht vergessen lassen. Doch es ist Zeit, mich mit meinem vierten Album zu befassen. Phil Ramone übernimmt die Aufnahmeleitung. Ich bin sofort beeindruckt von ihm und kaum in einer Position, in der ich meine Meinung äuÃern könnte. Andererseits bin ich nicht daran gewöhnt, mich nicht einzumischen. Sehr bald schon erweist sich die Situation als heikel. Man erwartet von mir, dass ich diesen Göttern der Musikwelt die FüÃe küsse und sie nicht mit Bemerkungen störe, die sie als frech empfinden könnten. Ich habe ohnehin Schwierigkeiten, mich auf Englisch auszudrücken. Es ist zu kompliziert.
Ich singe einen von Lyle Lovett übernommenen Song und einen Originalsong von Diane Warren, »Quand jâai peur de tout«  â Wenn ich vor allem Angst habe  â, er ist der erste Song im neuen Album. Im selben Album ist auch ein Duett mit James Taylor.
Ich habe sehr gute Mitarbeiter, und ich bin sicher, dass das Album gut wird. Dans ma chair   â In meinem Fleisch  â, so habe ich es genannt, enthält auch neue französische Beigaben: Franck Langolff, Zazie ⦠Auch Barbelivien und Bernheim sind immer noch dabei. Jean-Jacques Goldman hat für dieses Album »Je voudrais la connaître«  â Ich möchte sie kennen  â geschrieben, ein sehr schönes Chanson, in dem es um Untreue und Eifersucht geht. Dieses neue Werk unterscheidet sich von den vorhergehenden, nicht nur, weil es frankoamerikanisch
ist, sondern auch, weil ich mich verändert habe. Und mein Image mit mir. Ich habe einen neuen Look. Mein Haar ist jetzt glatt und sehr blond, und auf der Hülle von Dans ma chair posiere ich in einer tief ausgeschnittenen durchsichtigen roten Bluse. Etwa so wie ein Teenager, der sich der elterlichen Aufsicht entzogen hat, wage ich es jetzt, mich eher sexy zu geben. AuÃerdem bin ich zugegebenermaÃen ganz froh, nicht mehr so sehr der blond gelockte blaue Engel à la Marlene Dietrich zu sein.
Doch gerade das ist es, was meine Fans lieben, meine Dietrich-Seite, Cabaret, meine nackten Beine in schwarzen Strümpfen. Mich im Abendkleid verstehen sie nicht mehr, sie erkennen mich nicht hinter dem Understatement und der Raffinesse, die ich mir jetzt zugelegt habe. Auch für mein viertes Album können sie sich nicht so begeistern, es hat nicht den Erfolg der anderen drei. Anfangs wundert es mich. Dann denke ich darüber nach, versuche, es mir zu erklären. Liegt es an der Zeit, die vergeht? An der Entfernung? Es ist mir nicht gleichgültig, dass sie mich nicht mehr lieben. Kein Künstler darf darüber hinweggehen, wenn man sich, und sei es nur für einen Moment, von ihm abwendet. Dennoch tut es mir nicht leid, dass ich dieses Album gemacht habe.
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Lange kann ich mich mit diesen Fragen nicht aufhalten, denn unmittelbar darauf folgt meine dritte Tournee: Rendez-vous , das sind hundertfünfzig Konzerte in aller Welt. Im Wirbel der Tournee, die ein Erfolg wird, komme ich nicht dazu, allzu sehr an meinen Vater und meine Enttäuschung über den schlechten Verkauf des Albums zu denken. Ich stehe auf der Bühne, und das ist die Hauptsache. Diese Erfahrung mit anderen teilen, das gefällt mir. Ich finde meine kleinen Freuden
wieder, meine Rituale, zum Beispiel, dass ich Mamans Teddybär in eine Bühnenecke setze, und auch meine schlechten Angewohnheiten wie die, nicht an meiner Stimme zu arbeiten. Ich wollte sie immer im Rohzustand haben, ungekünstelt und ohne Technik. Ich arbeite auf der Bühne an ihr. Ich mache übrigens kurz vor dem Konzert keine Stimmübungen. Ich singe mich nicht ein. Ich gurgele mit eiskaltem Wasser, um die Stimmbänder zu entspannen. Dann ist meine Stimme bereit, wenn ich auf die Bühne gehe, und lässt mich nicht im Stich.
Künstler zu sein, hat etwas mit Hochleistungssport zu tun. Der Körper versucht, Grenzen zu setzen. Ich höre selten auf ihn. Ich neige eher dazu, ihn zu zwingen, ihm meine Disziplin
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