Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Kaas
Vom Netzwerk:
begleitet.
Man hat hinter dem Senat eine Bühne aufgebaut und die Gittertore geschlossen. Das Publikum scheint zweigeteilt. In den ersten Reihen herrscht eine sehr offizielle Atmosphäre. Die Bürgermeister Frankreichs, etwa dreißigtausend, wurden eingeladen, und jetzt sitzen sie da auf ihren Klappstühlen und machen ernste Gesichter. Was mich erschreckt, ist nicht ihre Vielzahl, sondern ihr Titel. Sie sind nicht meine Fans, sie sind nicht von vornherein für mich eingenommen, sie sind nicht meinetwegen gekommen. Ich bin eine Art Geschenk für sie. Das ist es, was mir in Wahrheit Sorge bereitet. Ich habe immer Angst, dass ich vor die falschen Richter komme. Ich fürchte das Urteil derer, die mich kaum kennen und mich wegen einer Kleinigkeit verurteilen. Ich fürchte die geringe Nachsicht derer, die weder Zeit noch Lust haben, mir zuzuhören, deren Geschmack ich nicht bin. Ich bin sogar imstande, mir den Enthusiasmus und die Liebe eines ganzen Publikums zu verderben, wenn nur ein einziger Mensch unzufrieden oder gleichgültig wirkt. Einmal, an einem Abend in Österreich, saß relativ weit vorn ein junger Typ, der wahrscheinlich nur seiner Freundin zuliebe gekommen war. Er rührte sich nicht, mit verschränkten Armen saß er da und musterte mich kühl. Ich sah nur ihn. Schließlich ging ich nach vorn an den Bühnenrand und während des Singens vor ihm in die Knie. Ich hätte zumindest ein Lächeln erwartet. Manchmal setzt man es sich während der Vorstellung in den Kopf, noch die Widerspenstigsten zu überzeugen, weil ein Einziger Zweifel daran wecken kann, dass man wirklich Talent hat. Im Jardin du Luxembourg nun habe ich den Eindruck, dass mein ganzes Publikum aus solchen desinteressierten Typen besteht.

    Â 
    Die Tournee Ce sera nous   – Wir werden es sein  – beweist mir, dass auch das Ungewohnte und Ungewöhnliche vorkommt, sogar Gedächtnislücken. Und, schlimmer geht’s nicht: auf der Bühne des Zénith in Paris. Ich versuche, »Le mot de passe« zu singen, doch ich habe einen Hänger. Ich verstehe nicht, warum. Was passiert mir denn da? Eine Katastrophe. Normalerweise gibt es die schlechten Zeiten, die üblen Überraschungen, die unerfreulichen Ereignisse in meinem Leben, aber nicht auf der Bühne. Ich bin zunächst nicht erschrocken, sondern nur überrascht. Ich habe schon zweimal einen neuen Anlauf genommen, und jetzt stolpere ich schon wieder. Ein Augenblick großer Einsamkeit. Je mehr ich mich wieder in den Griff zu bekommen versuche, desto mehr verheddere ich mich. Ich möchte mich auf dieser sehr leeren Bühne  – wir sind bei diesem Chanson nur zu zweit, Piano und Gesangsstimme  – am liebsten in Luft auflösen. Die sechstausend Menschen, die Zeugen meines Schiffbruchs sind, lassen mich in ihrem Schweigen baden. Neugierig wie bei einem spannenden Film und stolz darauf, einen Augenblick mitzuerleben, von dem man noch lange erzählen wird. Ich habe den Text von »Mot de passe« definitiv vergessen. Mir ist, als kröche ich durchs Dunkel, als tastete ich nach einem Ausgang, hätte aber keine Chance, ihn zu finden. Dreimal schon habe ich aufgehört, nachdem ich Worte gestottert habe, die nicht zum Text gehören. Und selbst jetzt, wo ich ihn schwarz auf weiß vor Augen habe, gebe ich immer noch völligen Unsinn von mir. Die Panik hat mich außer Betrieb gesetzt. Alles verschwimmt auf diesem Blatt, die Zeilen tanzen, die Noten drehen sich im Kreis, ich kann die Takte nicht mehr unterscheiden. Heilloses Chaos.
    Es herrscht eine Grabesstille. Ich höre säckeweise Stecknadeln
fallen. Ich sehe schon kommen, dass ich zusammenbreche. Ich weiß nicht, wie ich mich aus dieser peinlichen Lage befreien soll. In solchen Augenblicken meint man, man müsse flüchten, von der Bühne rennen … Doch nein, in Wirklichkeit sind die Zuschauer hingerissen, weil sie diesen einzigartigen Moment erleben, bei dieser kleinen Fehlleistung dabei sein dürfen. Statt also an das Schlimmste zu denken, bitte ich sie um Verzeihung. Ich versuche es auf die humorvolle Art: »Na schön, wir tun jetzt so, als wäre das gar nicht passiert!« Nach zehn Minuten der Qual bin ich wieder im richtigen Fahrwasser. Nachdem das Konzert ohne weitere Zwischenfälle zu Ende gegangen ist, tröstet mich Jean-Jacques Goldman hinter der Bühne. Ich bezichtige ihn im Scherz, er

Weitere Kostenlose Bücher