Madonna, ein Blonder!
vorne wie Sand, der immer noch einen Weg durch die Felsen findet. » Wo immer es Platz gibt, besetze ihn, und zwar presto «, lautet das Credo der Mopedfahrer. Verkehrsregeln ignorieren sie sowieso. Sie biegen links ab, wo ein Geradeauspfeil eigentlich etwas anderes verlangt, sie fahren über Rot und Einbahnstraßen in der Gegenrichtung, weil es für sie bequemer, zeitsparender oder was sonst ist. Warum sich da in einen Stau einordnen?
» Es war rot«, sage ich, als Dino wieder mal eine Ampel missachtet.
» Boh!« Rote Ampeln sind für ihn ganz offensichtlich eher Vorschläge für die Verkehrsregelung denn echte Stoppzeichen. Alles, was Fahrlehrer Francesco seinen Schülern beizubringen versucht, macht Dino anders. Auf Kreuzungen fährt er mindestens drei Meter über die Haltelinie hinaus, auch bei Rot, und wartet auf das Hupen der Autos hinter ihm, sobald gefahren werden darf. Fußgängerampeln übersieht er grundsätzlich, und auch Ze bra streifen nimmt er nicht zur Kenntnis. Er tut so, als sei der Asphalt einfach schwarz. Es sei denn, ein Fußgänger hat sich schon mindestens eineinhalb Meter auf die Fahrbahn vorgearbeitet. Dann murmelt er » Cazzo!« und lässt ihn passieren.
Ich bin froh, als wir endlich hinter dem Bahnhof Termini das Viertel San Lorenzo erreichen, wo Elisa wohnt. Heil und unversehrt.
Wir sind mit Elisa in einer Bar verabredet, und Dino ist bester Laune. Er beugt sich über den Tresen und schaut dem Barmann aufmerksam zu, wie er den Kaffee an einer Maschine zubereitet, die aussieht, als sei sie von der NASA fürs Weltall entwickelt worden.
» Ist was?« Der Barmann– mit einem Loch im Ohr– hat Dinos Blick bemerkt.
» No, tutto bene.« Nein, alles in Ordnung.
Der Barista macht weiter seinen Kaffee. Dino schaut ihm weiter zu.
» Kennen Sie sich aus?«, fragt der andere.
» Eeeeeeeeeeeh!« Dino strahlt und sagt zu mir: » Sag ihm, wer ich bin.«
Ich erkläre dem Mann, dass Dino Delponte seit fast fünf Jahrzehnten Barista ist.
Wie zur Bestätigung erklingt wieder Dinos lang gezogenes Eeeh.
Die beiden Baristi jonglieren jetzt mit Fachbegriffen: » … hat ein TCS -System«, » … unabhängiger Kessel für die Dampferzeugung«, » Vorbrühsystem…« Außerdem, erklärt der Barista, heiße die Maschine Manu nach der Frau des ehemaligen Barista dieser Bar.
» Eine gute Maschine«, sagt Dino schließlich anerkennend, » eine gute Bar.« Der Kollege nimmt diesen Ritterschlag mit einer aus meiner Sicht etwas zu gleichgültigen Miene entgegen und stellt uns den Kaffee hin.
Zum ersten Mal überhaupt sehe ich Dino kaffeetrinkend und nicht kaffeemachend. Er degustiert den Espresso wie einen Wein. » Crema«, nuschelt er und » etwas bitter«, bevor er ihn in einem Zug hinunterkippt, die kleine Tasse abstellt, sie zum Barmann schiebt und » buono« sagt . Großartigeres kann ein Barista eigentlich gar nicht hören. Doch der andere räumt die Tasse einfach weg.
Um 14 Uhr 30 stürzt Elisa herein. Sie hat ein leuchtend türkisfarbenes T-Shirt an, eine schwarze Leinenhose, und als sie den Mopedhelm vom Kopf zieht, sind ihre dunklen Haare leicht gewellt und glänzen rötlich. Sie sieht umwerfend aus, wenn auch leicht gestresst.
» Ich bin etwas verspätet.«
» Ach, gar nicht«, lüge ich.
Elisa nickt. » Eeeh, il traffico. « Der Verkehr– es ist immer das Gleiche in Rom.
» Si, si«, nickt Dino zustimmend, und damit ist die Verspätung entschuldigt.
Mir scheint, dass der Verkehr in Rom nicht nur ein echtes Problem, sondern genauso eine beliebte Ausrede ist, die für alles und jedes herhalten muss. Egal ob man als Bräutigam zu spät zur eigenen Hochzeit kommt oder als Feuerwehrmann zu spät zum brennenden Haus. » Eeeh , il traffico « reicht als Erklärung völlig aus– es ist der Fluchtweg aus allen Problemen: Hände weit von sich strecken, die Schultern hochziehen, das Kinn nach vorne schieben und dann » Eeeeeeh!« seufzen und das Verkehrschaos beklagen.
Auf dem Weg zu ihrer Wohngemeinschaft erzählt Elisa, dass sie derzeit eine Woche lang eine deutsche Reisegruppe durch Rom führt und die Sprache auf der deutschen Schule in Rom gelernt habe. » Brava ragazza«, sagt Dino anerkennend, braves Mädchen, sonst nichts, denn er ist emotional überlastet: Alle paar Meter ruft er: » Che emozione!« Er war vor 20 Jahren zuletzt in San Lorenzo und findet es jetzt schrecklich aufregend, wie sich das Viertel verändert hat. Damals sei das ein ärmliches quartiere popolare gewesen, für
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