Madonna, ein Blonder!
informiert. So auch Elisas in Rom lebende Eltern, die ihre Tochter seither jeden Tag anrufen und fragen, wann sie mich ihnen denn vorstellt.
» Er hat viel zu tun«, log sie erst gestern.
» Ich dachte, er sei Journalist«, höre ich die Mama durchs Telefon sagen und wundere mich. Was die so denkt von meiner Zunft!
An einem Freitag, als ich im » Papagallo« die Zeitungen nach einem Thema für eine Reportage durchsuche– die Mails aus der Redaktion klingen zunehmend verzweifelter und dringlicher–, während Elisa versonnen Zucker in den frisch gepressten Orangensaft rührt, sagt sie plötzlich: » Wollen wir ans Meer?«
Meer! Ich hatte schon fast vergessen, wie nah Rom am Meer liegt. Eigentlich ein Skandal, dass ich noch nicht am Meer war.
» Aber es ist doch noch nicht Wochenende.« Ich beko mm e schon jetzt ein schlechtes Gewissen wegen der Arbeit.
» Eben«, meint Elisa. » Deshalb will ich ja heute raus. Samstags fahren alle.«
Ein Expertenurteil, dem ich mich nicht widersetzen mag. Und außerdem: Ich hatte mir ja geschworen, dass ich erst mit Elisa ans Meer fahre. Jetzt geht es lediglich um die Frage, wohin.
» Sperlonga im Süden«, sagt Dino. » Zu weit«, sagt Elisa.
» Santa Severa im Norden«, sagt Dino. » Ach nee«, sagt Elisa.
» Santa Marinella bei Civitavecchia«, sagt Dino. » Langweilig«, sagt Elisa.
» Boh!«, sagt Dino.
Elisa legt sich schließlich auf Ostia, genauer gesagt auf die » Cancelli«fest, die südlich von Ostia gelegenen kostenfreien Strandabschnitte.
Eine Stunde später warten wir an der Haltestelle » Piramide« auf den Vorortzug, der uns nach Ostia bringen soll. Obwohl erst Freitagmorgen ist, drängt sich auf dem Bahnsteig halb Rom mit Gummibooten, Taschen, Bällen, Beachballschlägern und Handtüchern. Es sind Schulferien, und nach neun Monaten Schulpflicht gehen die Schüler nun für die Sommermonate anderen Zwängen nach. Eben möglichst jeden Tag am Meer zu verbringen. Wer das nicht macht, gilt als Sonderling, vergleichbar mit Leuten, die alleine ins Kino gehen.
Der Zug fährt ein, mit einem Zischen drücken sich die Zugtüren nach links und rechts, keiner steigt aus, alle quetschen sich hinein.Wo im Herbst und Winter graue Hosen und schwarze Schuhe der Pendler dominieren, sieht man jetzt nur Flipflops.
Elisa erklärt mir gerade, wie eine römische Familie den Sommer verbringt– Mama und die Kinder sind am Meer, Papa pendelt hin und her–, als im vorderen Teil des Wagens, etwa 20 Sitze von uns entfernt, jemand anfängt, Akkordeon zu spielen.
» O nein«, seufze ich.
» Hast du was vergessen?«
Ich schüttle den Kopf. » Hör mal.« La Cucaracha, la Cucarach a…
» Das sind Roma, die gehen einfach durch.«
» Na, du wirst schon sehen!«
Seitdem ich das erste Mal mit meinen blonden Eltern und meinen beiden ebenfalls blonden Geschwistern in Italien war, habe ich ein Trauma hinsichtlich jeglicher Art ungebetener, dafür umso aufdringlicherer Straßenmusik. Egal, ob wir blonden Germanen ein Touristenlokal oder eine einsame Trattoria auswählten: Kaum hatten wir uns gesetzt, spielten Straßenmusiker scheinbar nur für uns. Mein Vater wusste nie, ob und wie viel man ihnen in die Hand drücken musste, damit sie aufhörten, während meine Mutter stets angstvoll ihre Tasche an sich presste. Hinzu kam der Ärger der anderen Gäste, weil durch unsere blonde Präsenz kurzerhand eine kleine, feine Trattoria zu einem Touristenschuppen umgewidmet wurde.
La Cucaracha ist jetzt schon ganz nah.
» Grazie, grazie.« Ein kleiner, zweifellos bemitleidenswerter Junge läuft mit einem McDonald’s-Becher voraus, gefolgt von einem jungen Mann, der Akkordeon spielt. Als die beiden mich sehen, gibt es ein Privatkonzert.
» Na, hab ich’s dir nicht gesagt«, seufze ich.
Der Ältere mit dem Akkordeon spielt jetzt O sole mio, zum Glück ohne Gesang. Der kleine Junge hält mir den Becher hin. Elisa schlägt die Augen nieder, die anderen Leute rechts und gegenüber schauen mich auffordernd an. In ihren Blicken lese ich: » Wenn einer was geben muss, dann du! Du bist schließlich blond, und deinetwegen stehen sie hier.«
Elisa flüstert: » Komm, gib ihm ein bisschen Spitsch.«
Ich krame in meinen Münzen und werfe einen Euro in den Becher. Das war wohl mehr, als der Durchschnitt gibt.
Zum Dank stimmt der Akkordeonspieler jetzt noch Kalinka an.
Eine Viertelstunde später läuft der Zug endlich in der Endhaltestelle »Cristoforo Colombo« ein. Schon toll: Man setzt sich in eine
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