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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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reichte er sie Katharina. Sie presste sie gegen ihren Leib wie einen Schutzschild und sah zu, wie Richard sich zu der Tasche hinunterbückte, die neben seinen Füßen stand. Eine Weile kramte er ziellos darin herum. Katharina konnte seine Miene nicht erkennen, denn die langen, lockigen Haare verbargen seine Züge. Die Mappe in ihren Händen wog Tonnen. Richard griff nach der Tasche. Sie war schwer, das sah Katharina an der Art, wie sich die Muskeln an seinem Unterarm spannten.
    »Richard!«
    Mehr brauchte er nicht. Die Tasche fiel zurück auf den Boden. Mit zwei langen Schritten war er bei Katharina. Sie hatte gerade noch Zeit, die Mappe auf den Tisch hinter sich zu legen, da umfasste er bereits ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie. Er küsste sie mit solch verzweifelter Innigkeit, dass Katharina die Luft wegblieb. Sie schloss die Augen, schlang ihre Arme um seinen Rücken, zog ihn an sich. Als sich ihre Fingernägel in sein Fleisch bohrten, ließ er von ihr ab und zog Luft durch die Zähne.
    Noch immer forschend begegnete er ihrem Blick.
    Und erkannte, dass sein Kuss nichts bewirkt hatte. Er wollte zurücktreten, aber Katharina ließ ihn nicht. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, hielt sie ihn fest. »Lass mir Zeit!«, bat sie.
    Er schüttelte den Kopf.
    Da ließ sie ihn los.
    »Ich habe ein langes Jahr gewartet«, murmelte er und senkte den Kopf, so dass die Haare wieder vor seine Augen rutschten. »Ich kann nicht mehr.«
    Um etwas zu haben, mit dem sie ihre Hände beschäftigen konnte, griff Katharina nach der Mappe. Ein einzelnes Blatt fiel heraus, segelte zu Boden.
    Richard sah zu, wie es auf den blanken Dielen landete, dann griff er erneut nach der Tasche. »Es tut mir leid, Katharina.«
    Und mit diesen Worten war er damals gegangen. Katharina hatte keine Ahnung, wohin, doch sie vermutete, dass er sich auf seineLändereien in der Toskana zurückgezogen hatte, jedenfalls hatte er Nürnberg noch am selben Tag verlassen.
    Sie stellte die Mappe an ihren Platz zurück. Dann wandte sie sich ihrem Arbeitstisch zu, stützte die Ellenbogen darauf ab und verbarg das Gesicht in beiden Händen. Die Talglichter flackerten sachte, und Katharina konnte das leise Zischen hören, als eines von ihnen erlosch.
    Fast ein Jahr war Richard Sterner nun fort.
    Und wie so vieles andere war das allein ihre Schuld.
    Ob sie ihn jemals in ihrem Leben noch einmal wiedersehen würde?

3. Kapitel
    Richard Sterner wusste, dass Nürnberg nur noch wenige Wegstunden entfernt war, und die Ungeduld, es nach fast einem Jahr endlich wieder zu betreten, brannte in ihm. Dennoch zügelte er sein Pferd und hielt es auf einer Hügelkuppe an. Die Sonne stand tief im Westen, und obwohl sie den ganzen Tag über pausenlos auf ihn niedergeschienen hatte, fröstelte er jetzt in der kühlen Oktoberluft. Sein Pferd senkte den Kopf zu Boden und begann Gras zu fressen. Richard ließ es gewähren, auch wenn er wusste, dass er die Trense später mühsam von dem grünlichen Schleim würde befreien müssen, zu dem das Tier seine Mahlzeit verarbeitete.
    Richard hob die Hand über die Augen, um seinen Blick zu beschatten. Er hatte gehofft, die Stadt noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, aber so wie es aussah, war er allzu zuversichtlich gewesen. Sein Rücken schmerzte von den langen Ritten der letzten zwei Wochen, und in seinen Eingeweiden wühlte nagender Hunger. Besser, er suchte sich noch einmal eine Übernachtungsmöglichkeit. Er war fast ein Jahr fort von Katharina gewesen, da kam es auf eine weitere Nacht nun auch nicht mehr an.
    Er unterdrückte ein Seufzen und schob jeden Gedanken an Katharina so weit wie möglich von sich. In dem Dorf, durch das er gegen Mittag gekommen war, hatte man ihm erzählt, dass es ungefähr auf der Hälfte der Strecke zwischen Schwabach und Nürnberg an einer Weggabelung ein Gasthaus gab. Wenn ihn sein Orientierungssinn nicht trog, dann musste es sich irgendwo direkt vor ihm befinden.
    Einem zweiten Seufzer, der in seiner Kehle aufstieg, gestattete er den Weg über seine Lippen, dann schnalzte er leise mit der Zunge. Sofort hob sein Pferd den Kopf und drehte die Ohren zu ihm nach hinten. »Bald haben wir es geschafft«, murmelte er, tätschelte den glatten, rotbraunen Hals des Tieres und nahm dann die Zügel wieder auf.
    Keine Viertelstunde später – die Sonne berührte schon die Spitzender Bäume im Westen – tauchte das Gasthaus vor Richard auf. Es war ein stark befestigtes Gehöft mit einer doppelt

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