Madonna
hereinfallenden Mondes schimmerte ihre helle Haut wie Milch, und Richard spürte, wie ihn das Verlangen erneut überkam.
Gott, was war er für ein Mistkerl!
»Ich habe Angst«, hatte sie ihm gestanden, und etwas in ihm war erzittert bei diesen Worten, denn in diesem Augenblick war ihm bewusst geworden, dass es ihm nicht anders erging.
In seinem Herzen saß eine tiefe Panik, die Sorge, dass es etwas in ihm gab, das er nicht kontrollieren konnte. Etwas, das ihn mitten in der Nacht aus dem Bett und ans Fenster trieb, um es zu öffnen. Etwas,das ihn als Kind gezwungen hatte, seine sechsjährige Schwester so lange unter Wasser zu drücken, bis sie starb, oder vergangene Nacht in einer dunklen Gasse eine wehrlose Frau zu ermorden …
Sei nicht töricht!
Er hieb sich gegen die Stirn.
Seine Erinnerungen waren glasklar. Er war in die Gasse gelaufen, weil er der Frau hatte helfen wollen. Und dann? Etwas Großes, Schwarzes war auf ihn niedergefahren, hatte ihn zu Boden gedrückt. Was, wenn es kein Mensch gewesen war, wie er bis zu diesem Moment geglaubt hatte? Was, wenn es nicht Gertruds Mörder gewesen war, sondern etwas anderes, noch viel Finstereres? Ein Dämon, der in ihn gefahren war.
Vor seinem geistigen Auge fügte sich die Szene ganz neu zusammen. Er sah sich auf Knien, nachdem der Dämon ihn zu Boden gerungen hatte. Und er sah sich nach dem Schwert greifen und zu der Frau aufsehen, die in diesem Augenblick begriff, dass sie sterben würde …
Ein Ächzen entfuhr Richards Kehle. Er krampfte die Hand um den Fensterrahmen.
Mit einem leisen Seufzen drehte Katharina sich auf die andere Seite und wandte ihm nun den Rücken zu.
Ein schmerzhafter Stich fuhr ihm durchs Herz. Vielleicht war es einfach ihr gesunder Verstand, der sie Angst haben ließ. Vor ihm.
Vielleicht war es tatsächlich besser, wenn er sie in Ruhe ließ.
Er trat von dem offenen Fenster weg und schloss es so behutsam, wie er konnte. Dann griff er nach seiner Kleidung. Leise zog er sich an, und dabei fiel sein Blick auf das kleine Buch, das auf dem Nachtkästchen lag. Es war ihm schon mitten in der Nacht aufgefallen, aber nun nahm er es und schlug es auf.
Es war mit der Hand geschrieben, mit einer steilen, eckigen Schrift, und im Dämmerlicht konnte er die Worte nur schwer entziffern. Lautlos trat er an das Fenster zurück und hielt das Buch so, dass das Mondlicht auf die Seiten fiel.
»Neben der heiligen Anna vermag Dir die heilige Katharina von Alexandrien als Vorbild zu dienen«, las er. »Und ist es nicht göttliche Fügung, dass Du denselben Namen trägst wie sie, die den Tod wählte, als der römische Kaiser sie zur Frau nehmen wollte? Denn ihr war ihre Tugend heiliger als ihr Leben …« Er ließ das Buch sinken. TrachteteKatharina tatsächlich danach, eine gottgefällige Witwe zu sein? Wenn ja, was hatte er dann eben angerichtet? Er schloss die Augen vor seiner eigenen Widerwärtigkeit. Noch einmal warf er einen Blick auf die Seite, die Worte brannten sich in sein Hirn …
… lieber tot als verheiratet …
Dann schlug er das Buch zu und legte es vorsichtig zurück auf das Nachtkästchen. Bevor er nach dem Türriegel griff, um die Kammertür zu öffnen, warf er noch einen letzten Blick auf Katharina.
Dann gab er sich einen Ruck. Leise zog er den Riegel zurück und öffnete die Tür.
Keine Minute später war er draußen auf der Gasse, und das Fischerhaus blieb in der Finsternis der Nacht hinter ihm zurück.
Als Stadtrichter Flechner in Silberschlägers Haus eintraf, war er überaus ungehalten. Doch bevor er sich noch darüber beschweren konnte, dass man ihn einfach aus dem Bett gezerrt hatte, wo doch morgen seine Tochter ihre Verlobung feierte, stellte Heinrich Kramer sich ihm vor. Nachdem der Richter sich von der Überraschung erholt hatte, den berühmten Verfasser des Hexenhammers persönlich zu treffen, präsentierte Kramer ihm mit knappen Worten all ihre Erkenntnisse. Er erläuterte Flechner, dass Katharina mit drei von vier Morden unmittelbar in Verbindung gebracht werden konnte, und er erzählte ihm auch, dass Tobias, der Mörder, bei ihr gelebt hatte. Und dann fuhr Kramer sein schwerstes Geschütz auf. In schillernden Farben malte er Flechner aus, wie Katharina Tobias durch Zauberei unter ihren Willen gezwungen und ihn dann dazu getrieben hatte, Silberschläger anzugreifen.
Flechner machte sich vor Angst fast in die Hose. »Wenn es so ist, wie Ihr sagt …«, er schluckte schwer, »… werde ich den Stadtrat einberufen, um zu
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