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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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beraten, was mit ihr geschehen soll.«
    »Tut das«, gab Kramer ungerührt zurück. »Warten wir ab, bis die hohen Herren sich versammelt haben. Lassen wir sie debattieren und irgendwann, in ferner Zukunft, eine Entscheidung fällen. Aber macht mir hinterher keine Vorwürfe, wenn bis dahin geflügelte Teufel auf die Stadt niedergefahren sind und Eure Familie im Schlaf gefressen haben!«
    Flechner quollen bei diesen Worten fast die Augen aus dem Kopf. »Was soll … ich tun?«, ächzte er.
    Silberschläger war fasziniert von den rhetorischen Fähigkeiten Kramers. Dass Flechner dem Teufelsglauben zugeneigt war, wusste er ja inzwischen, aber dass er sich derartig ins Bockshorn jagen ließ, war eine Erkenntnis, die er sich tunlichst merken sollte.
    In väterlich anmutender Weise legte Kramer dem Stadtrichter den Arm um die Schulter und flüsterte ihm zu: »Begleitet mich zu dem Gefangenen. Unverzüglich! Und dann schauen wir, ob der Junge wirklich besessen ist. Wenn nicht, könnt Ihr immer noch Euren Rat einberufen und alles seinen geregelten Gang gehen lassen. Niemand muss dann davon erfahren, dass ich im Lochgefängnis war. Wenn ich aber mit meiner Vermutung recht habe, lasst Katharina Jacob verhaften, und Ihr seid der Held, der Nürnberg vor der Verdammnis gerettet hat.«
    »Ich weiß nicht …« Flechner rieb sich unschlüssig das Kinn.
    Kramer rührte sich nicht. Draußen auf der Gasse vor dem Haus balgten sich zwei Katzen. Ihr Gekreische klang unheimlich wie das Wimmern von der Verdammnis preisgegebenen Kinderseelen.
    Ein leichtes Lächeln glitt über Kramers Miene, und Silberschläger lief es kalt den Rücken hinunter. Gott musste wirklich auf der Seite dieses Mannes sein, dachte er.
    Und endlich nickte Flechner. »Gut«, murmelte er. »Gehen wir!«
    Gabriel Dengler, der Lochwirt, brauchte eine halbe Ewigkeit, bis er auf Silberschlägers Läuten reagierte, sich aus dem Bett quälte und die Tür zum Lochgefängnis öffnete.
    »Was zum …« Er verschluckte den Rest des Satzes, als er sah, wen er vor sich hatte. »Herr Bürgermeister!« Von Silberschläger wanderte sein Blick weiter zu Flechner. »Herr Stadtrichter!« Rasch zog er sich die Hose höher, doch es änderte nichts an seiner zerzausten, unordentlichen Erscheinung. »Ist etwas passiert, dass Ihr so spät …«
    »Ist es!« Flechner drängte sich an Silberschläger vorbei, sodass er jetzt vor dem Lochwirt stand. »Wir müssen zu dem Gefangenen, der den Herrn Bürgermeister angegriffen hat. Sofort!«
    Dengler nickte. Er wirkte verwundert, stellte jedoch keine Fragen. »Selbstverständlich. Kommt mit!« Erst jetzt bemerkte er, dass noch ein dritter Mann in der Gasse stand. Sein Blick blieb an Heinrich Kramer hängen, und er schauderte unwillkürlich.
    Silberschläger unterdrückte ein Grinsen.
    Zu dritt folgten sie dem Lochwirt durch die verwinkelten Gänge des Kerkers und blieben schließlich vor einer der Zellen stehen. »Da drin sitzt er«, sagte Dengler.
    Kramer nickte ihm dankend zu. »Öffnet die Zelle«, verlangte er. »Und dann lasst uns allein!«
    Tobias saß auf der hölzernen Pritsche an der Rückwand seiner Zelle, die Knie vor die Brust gezogen und den Kopf darauf abgelegt. Er grübelte, was er nun tun sollte. Nachdem Silberschläger aus seiner Ohnmacht erwacht war und ihn mit dem Messer in der Hand dastehen gesehen hatte, hatte er Alarm geschlagen. Zwei Büttel, die ganz in der Nähe gewesen sein mussten, waren angerannt gekommen. Auf Silberschlägers Befehl hin hatten sie ihn verhaftet.
    Als er jetzt vor der Tür Stimmen vernahm, sah Tobias hoch.
    Die Tür schwang auf. Ein Mann kam herein, den Tobias nicht kannte. Er war kräftig, hatte schütteres Haar und Augenbrauen, die wie Fliegenbeine aussahen. Hinter ihm betrat Bürgermeister Silberschläger die Zelle, und ihm wiederum folgte ein Mönch in der schwarz-weißen Kleidung der Dominikaner. Bei seinem Anblick erzitterte etwas in Tobias’ Innerstem. Der kalte, berechnende Ausdruck in den hellblauen Augen des Mönches ließ ihn frösteln.
    Der erste Mann, der kräftige, blieb vor Tobias stehen und musterte ihn, bevor er sprach. »Er sieht nicht besessen aus.«
    Tobias stellte die Füße auf den steinernen Boden.
    Der Mann trat einen Schritt zurück, doch die Zelle war eng, und es gab nicht genug Platz, um auszuweichen. Mit der Schulter stieß der Mann gegen Silberschläger.
    »Entschuldigt«, sagte er.
    Silberschläger nickte nur. Er starrte Tobias an. Um seinen Hals lag ein weißer Verband, und

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