Madonna
Beistand, den er ihr gesandt hatte, ein hohles, tönernes Gefäß war …
»Donatus!«, flüsterte sie.
Er blinzelte. »Ja?«
»Komm näher! Du musst mir helfen.«
Er tat, was sie verlangte. »Was ist? Müsst Ihr Euch bequemer hinsetzen?«
Er hatte das letzte Wort noch nicht über die Lippen gebracht, da entriss Mechthild ihm das Messer, das er am Gürtel trug. Die alte Schuld, die sie so viele Jahre lang sorgsam in sich verschlossen hatte wie einen kostbaren Schatz in einer massiven Truhe und die Spindler, ihr Beichtvater, ihr genommen hatte, spülte jetzt in einem einzigen riesigen Schwall über sie hinweg. Zusammen mit der noch viel größeren Schuld, die sie kürzlich auf sich geladen hatte, riss sie sie mit sich fort geradewegs in die Hölle.
»Was …« Erschrocken fuhr Donatus zurück, als die Messerklinge vor seinem Gesicht aufblitzte.
Damit hatte Mechthild gerechnet. Es gab ihr Zeit, zu tun, was als Einziges noch zu tun war.
Sie kehrte die Klinge gegen sich selbst. Und stieß zu.
Eberlein trug Katharina halb, halb schleifte er sie den Gang entlang zurück zu ihrer Zelle. Dort stieß er sie achtlos zu Boden. Heinrich Kramer, der ihnen gefolgt war, blieb in der Tür stehen, starrte auf Katharina nieder wie auf ein widerliches Insekt. Dann schleuderte er ihr ihren zerrissenen Rock entgegen. »Bedeck dich, Hure!«, zischte er sie an, dann wandte er sich ab und ging. Eberlein warf die Zellentür zu, und die Schritte seiner schweren Stiefel entfernten sich.
Katharina lauschte. War Kramer zusammen mit ihm gegangen, oder stand er noch vor ihrer Zelle, wie er es vorhin schon einmal getanhatte? Sie vermochte es nicht zu sagen. Mit zitternden Händen griff sie nach dem Rock, um ihre Blöße zu bedecken. Wenige Augenblicke später nur hörte sie, wie jemand sich näherte. »Was ist mit dem Bürgermeister geschehen?« Eine atemlose, ängstliche Stimme, die Katharina nur mit Mühe als die des Lochwirtes Dengler erkannte.
»Nun, ich fürchte, er hat die Kraft dieser Hexe dort drinnen unterschätzt«, sagte Kramer.
Dengler ächzte erschrocken. »Sie hat ihn … mit ihrer Hexenkraft …?« Er verstummte, atmete schwer.
»Sein Herz!« Kramer lachte leise. »Zu viel fettes Essen, zu viel Wein. Da hat sein Herz einfach ausgesetzt.«
»Dann ist die Frau unschuldig?«
»Keine Frau auf Erden ist unschuldig, guter Mann! Und zumal diese hier nicht.«
Einen Moment war es still, dann fragte Dengler: »Ist sie wirklich eine Hexe?«
Der Inquisitor lachte nur. Das Geräusch klang unheimlich in den verwinkelten Gängen.
Katharina ballte die Faust und biss hinein.
Unvermittelt verstummte Kramer. »Mein Bruder Burckhard!«, schnappte er. »Sie war noch ein Kind, aber schon verderbt bis ins Mark. Sie hat sich ihm an den Hals geworfen, hat ihn verführt, bis er seine Selbstbeherrschung verloren hat. Er hat sich vor lauter Selbstekel umgebracht.«
»Ah!«, machte Dengler.
Katharina schaffte es irgendwie, die Fetzen ihres Rockes unter dem Gürtel festzustecken, sodass sie aufstehen und sich zu der Pritsche schleppen konnte. Ihre Schultergelenke schmerzten von den Fesseln, und in ihrem Unterleib grub der altvertraute dumpfe Schmerz. Der Schmerz, den sie diesem Burckhard verdankte, das begriff sie jetzt endlich.
»Frauen!«, murmelte Dengler.
»Ja! Frauen! Sie sind Natterngift. Hexengezücht! Seht Euch nur an, was sie mit Silberschläger gemacht hat …«
»Sagtet Ihr nicht eben, es war sein Herz?«
»Ich rede nicht von seinem Tod, Narr! Ich rede davon, dass sie ihm zuvor die Manneskraft genommen hat! Warum sonst, glaubt Ihr …«
Katharina war unfähig, sich das giftige Gezische noch länger anzuhören. Sie zog die Beine an die Brust, legte die Ellenbogen auf die Knie und schlang die Arme um den Kopf, um sich die Ohren zuzuhalten. Mit langsamen Bewegungen begann sie, vor und zurück zu schaukeln und suchte Trost in einem alten Wiegenlied, das Mechthild früher immer für sie gesummt hatte.
Richard und Arnulf erreichten die Heilig-Geist-Kapelle genau in dem Moment, als aus ihrem Innersten ein langgezogenes, verzweifeltes Heulen zu vernehmen war.
»Neeeiiiin!«
Sie sahen sich kurz an, dann stürzten sie vorwärts, Arnulf voran, Richard hinterher. Im Laufen zogen sie beide die Schwerter blank.
Die Kapelle war leer, doch in ihrem vorderen Teil, neben dem Altar, stand eine mit verzierten Eisenbändern beschlagene Tür offen. Aus ihr drang das Heulen jetzt ein zweites Mal.
»Nein! Oh Gott, nein!«
Es war Donatus’
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