Madonna
Stimme.
Richard und Arnulf rannten quer durch den Mittelgang, überwanden mit einem Satz die Altarschranke und stürmten nacheinander in den winzigen, kahlen Raum hinter der Tür. Richards Blick huschte über einen geschnitzten Eckaltar, eine Gebetsbank, einen umgestürzten Stuhl. Doch all das nahm er nur oberflächlich wahr, denn inmitten des Raumes kniete Donatus am Boden und hielt Mechthild Augspurger in den Armen. Sein Gesicht war zu einer Maske des Grauens verzerrt, in seiner Hand lag ein blutiger Dolch, den er jetzt, wie zur Anklage, in die Höhe hob. Aus wilden Augen starrte er die beiden Neuankömmlinge an. »Sie …«
Er sprach den Satz niemals zu Ende. Arnulf warf sein Schwert in die andere Hand und kam über ihn wie ein Racheengel. Er packte ihn, riss ihn hoch, sodass der schlaffe Körper Mechthilds auf die steinernen Fliesen aufprallte.
Richard hörte, wie Donatus’ Leib gegen den Altar krachte, aber den Kampf, der zwischen den beiden Männern entbrannte, nahm er kaum wahr. Er ließ sich neben Mechthild zu Boden sinken, zog sie in seinen Schoß.
Blut rann ihr in breitem Strom aus einer Wunde am Bauch. Richardzögerte, dann presste er die Hand darauf. Seine Schulterverletzung protestierte dagegen, doch er drückte nur noch stärker.
Mit einem leisen Schmerzensschrei schlug Mechthild die Augen auf. Ihr Blick flackerte. Ihre Lippen öffneten sich.
Richard griff nach ihrer Hand.
Da fanden ihn ihre Blicke. »Herr Sterner«, flüsterte sie. Ihre Stimme klang nicht mehr menschlich, und da begriff Richard, was ihm sein Verstand schon längst gesagt hatte. Sie würde sterben, und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Katharina würde ihre Mutter niemals wiedersehen. Mitfühlendes Bedauern für sie schnitt durch sein Herz.
»Warum hat er das getan?«, fragte er.
Mechthilds Blick irrte zu Donatus. Er stand mit dem Rücken an den Altar gedrängt da. Arnulf hatte ihm das Schwert auf die Brust gesetzt und hielt ihn damit in Schach.
»Er war es nicht«, flüsterte Mechthild. »Ich selbst …«
Richard hielt die Luft an. »Warum?«
Sie klammerte eine Hand in Richards Kragen, zog ihn mit erstaunlich großer Kraft zu sich hinunter. »Du musst dir meine letzte Beichte anhören«, flüsterte sie. »Damit du Katharina retten kannst.« Sie hielt inne, versuchte, Luft zu holen. Es schien mit großen Schmerzen verbunden, denn kurz trübte sich ihr Blick. Als sie wieder klar sehen konnte, schaute sie Richard in die Augen. »Es hat mit Burckhard begonnen«, murmelte sie, und dann erzählte sie ihm alles.
Während ihre Worte durch Richards Seele schnitten, entwaffnete Arnulf Donatus, indem er ihm befahl, den Dolch fallen zu lassen. Donatus gehorchte.
Richard achtete nicht weiter auf die beiden. Wie die Jungfrau Maria bei der Ankündigung von Jesu Geburt die Worte des Engels in ihrem Herzen eingeschlossen hatte, nahm er Mechthilds Beichte in sich auf. Er wusste, er konnte all die Dinge nicht ungeschehen machen. Aber vielleicht, wenn er sie tief genug in sich verschloss …
Mechthilds Hand ließ seinen Kragen los und sank kraftlos nach unten.
»Rette mein Kind!«, hauchte sie noch.
Dann nahm der Tod sie bei der Hand und führte sie fort.
Richard ließ sie aus seinen Armen gleiten. Ihm war schwindelig,und er ahnte, dass es nicht vom Fieber kam. Er fühlte sich wie innerlich mit Erz ausgegossen. Mühsam richtete er sich auf. Sein Kopf hämmerte.
»Donatus ist nicht der Mörder«, rief er Arnulf zu. Er merkte erst, dass er schwankte, als er gegen den umgestürzten Stuhl prallte. Mit einer Hand suchte er Halt an der Wand. Sein Herz jagte jetzt wie ein Hase auf der Flucht.
Er riss sich zusammen. »Wir müssen zu Katharina. Sofort!«
Arnulf sah zweifelnd in Donatus’ Richtung.
»Donatus ist nicht der Mörder!«, wiederholte Richard. »Ich weiß jetzt, wer es ist.« Er sammelte sich, ließ die Wand los. Jede Bewegung fühlte sich an, als sei sie seine letzte.
»Rede schon!«, knurrte Arnulf.
Richard rang um Atem. Sein Herz presste ihm die Lungen zusammen. »Spindler«, keuchte er.
Arnulf riss ungläubig die Augen auf.
»Nein!«, rief Donatus. »Spindler ist …«
Richard unterbrach ihn mit einer ungeduldigen Geste. Endlich bekam er seinen Körper unter Kontrolle. »Er ist es. Glaubt mir! Kommt! Ich erzähle Euch unterwegs alles.«
Zweifelnd schaute Arnulf ihn an. »Du siehst aus wie ausgekotzt. Bist du sicher, dass du das schaffst?«
Richard schüttelte den Kopf. »Nein. Und jetzt komm endlich!«
Das
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