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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Geräusch eines Schlüssels, der in das Schloss ihrer Zelle gesteckt und quietschend umgedreht wurde, drang durch Katharinas kindliche Melodie. Sie verstummte, rührte sich jedoch erst, als die massive Tür aufschwang. Ängstlich hob sie den Kopf. Im Schein einer Talglampe, die irgendwo draußen im Gang auf einem der Mauervorsprünge stand, sah Katharina eine Gestalt, die mit zögernden Schritten ihr enges Gefängnis betrat.
    »Kind?«
    Erleichterung krampfte ihre Eingeweide noch mehr zusammen, als Angst und Entsetzen es zuvor getan hatten. »Doktor!«
    Mit wenigen schnellen Schritten war er bei ihr, kniete sich vor sie hin.
    Sie ließ den Kopf wieder sinken. Ihre Lippen zitterten, und siekonnte nichts dagegen tun. Unwillkürlich zog sie die Beine dichter vor den Leib, umklammerte sich selbst und fragte sich, warum sie das tat. Ihr Körper handelte einfach nur noch, als sei er von ihrem Geist – nein, von ihrem Verstand – abgetrennt worden durch all das Furchtbare, das ihr in den letzten Stunden geschehen war.
    Sanft legte Jakob Spindler ihr eine warme Hand auf den Unterarm, doch Katharina spürte die Berührung des Mannes mit den Eisaugen.
    Burckhard!, kreischte die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf.
    Sie zuckte zurück. Ihre Augen weiteten sich, ihr gesamter Leib erbebte. Im schwachen Schein der Lampe konnte sie Spindlers Gesicht kaum erkennen, und doch glaubte sie zu sehen, wie ein Ausdruck von Fassungslosigkeit über seine Züge glitt und dann von grenzenlosem Zorn. Er wurde schneeweiß.
    »Was haben sie Euch angetan?«, hauchte er. Seine Stimme passte nicht zu dem flammenden Ausdruck in seinen Augen. »Hat Kramer Euch angefasst?«
    »Nein.« Sie durchkreuzte die Erleichterung, die auf seinem Gesicht erschienen war, indem sie hinzufügte: »Silberschläger!«
    Er stieß etwas wie ein Wimmern aus, die verzweifelte Äußerung einer verdammten Seele. Die Blässe seiner Haut verwandelte sich in den Ton von Wachs. »Er hat Euch Gewalt angetan?«
    Sie zog ihren Rock enger um sich, schluchzte auf, zwang sich, ruhig zu atmen. »Er versuchte es«, flüsterte sie. »Aber er konnte es nicht.« Sie hätte froh sein müssen über diese Tatsache, aber sie war es nicht. Allein die Erinnerung an Silberschlägers bleiche Haut, an sein schlaffes, faltiges Geschlecht, das er an ihr rieb, machte, dass sich ihr der Magen umdrehte. Sie würgte, aber es kam nichts außer ein wenig bitterer Galle, die ihr in der Kehle brannte. Und mit Schrecken wurde ihr bewusst, dass Silberschlägers Unfähigkeit, ihr tatsächlich Gewalt anzutun, sie tiefer verletzte, als es eine Vergewaltigung getan hätte. Hätte er sein Vorhaben zu Ende gebracht, dann hätte sie wenigstens eine Erinnerung gehabt, die die Leere in ihrem Kopf gefüllt hätte. Denn es war genau diese Leere, das erkannte sie plötzlich, die der Grund war für ihre melancholia und ihre schreckliche Gestörtheit. Sie wusste nun, dass ihr dieser Mann namens Burckhard irgendwann in ihrer Kindheit genau das angetan haben musste, was Silberschläger heute nicht zuwege gebracht hatte. Sie war nicht besessen, wie ihrVater es immer geglaubt hatte. Sie war auch nicht krank oder unzulänglich. Sie war gefangen in einer Erinnerung, die ihr Kopf getilgt hatte, weil sie zu fürchterlich war, um sie mit sich herumzutragen.
    Zitternd umfasste sie ihre Knie fester. »Meine witwenhafte Tugend wurde nicht …« Ihr versagte die Stimme. Endlich schaffte sie es, den Kopf zu heben und Spindler in die Augen zu sehen.
    In seinen Zügen arbeitete es, und schließlich wurden sie so weich wie seine Stimme. »Kind!«, flüsterte er. Er streckte die Hände nach ihr aus, aber sie wich vor ihm zurück. Langsam schüttelte er den Kopf. »Ihr armes Ding!« Dann endlich besann er sich darauf, weswegen er hier war. »Ich hole Euch hier heraus«, sagte er und richtete sich etwas mühsam auf. Seine Gelenke knackten. Er reichte ihr eine Hand, um sie auf die Beine zu ziehen.
    Katharina stand ohne seine Hilfe auf. »Wie könnt Ihr das?«, fragte sie, und sie wusste nicht genau, ob sie ihre Rettung meinte oder die schlichte Tatsache, dass er ihr zu verzeihen schien, dass sie sich nicht gegen Silberschläger zur Wehr gesetzt hatte, wie die heilige Katharina von Alexandrien es getan hatte. Sie spürte die eigene Unzulänglichkeit wie ein Messer in ihrem Leib, und sie versuchte, dagegen anzukämpfen.
    Er lächelte matt und berührte einen Geldbeutel, den er an seinem Gürtel befestigt hatte und der nicht sehr prall aussah.

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