Madonna
stieß sie dann jedoch wieder hinein.
»Los!«, sagte der Nachtrabe. »Schnappen wir uns Donatus!«
»Witwe Augspurger!« Ein leises Klopfen an der Tür der alten Sakristei und die Stimme des Küchenmädchens unterbrachen Mechthild in ihrem Gebet. Sie blickte von ihren um den Rosenkranz gefalteten Händen auf. »Hier ist jemand, der dringend mit Euch sprechen muss«, sagte das Küchenmädchen durch die geschlossene Tür. »Er meint, es geht um Eure Tochter.«
Mechthild schaute auf den Altar, auf dem der Engel des Herrn Maria die Geburt ihres Sohnes Jesus Christus verkündigte. Die Gottesmutter sah auf dem mit dunklen Ölfarben gemalten Bild überhaupt nicht glücklich aus, sondern eher entsetzt.
»Wer ist es?«, fragte Mechthild.
»Ich bin es«, antwortete ihr der Besucher selbst. Es war Donatus. »Ich muss wirklich dringend mit Euch sprechen.«
»Kommt herein!«, bat sie ihn. Anders als die Tür zu ihrer Kammer hatte die der Sakristei innen keinen Riegel, der sich vorschieben ließ. Aber er war hier auch nicht nötig. Gott selbst hielt seine schützende Hand über sie, sie brauchte hier keine Riegel und Schlösser, um sich zu schützen.
Die Tür öffnete sich, und Donatus trat ein. Er sah blass und mitgenommen aus. »Was ist geschehen?«, fragte sie.
»Kramer«, haspelte er. »Er hat … Katharina verhaften lassen.«
Sie spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen. Himmel, steh ihr bei! Nur undeutlich hörte sie, wie Donatus etwas sagte, sie verstand kein einziges Wort. Sie hob die Hände vor den Mund. In ihrer Kehle bildete sich ein Schrei, so schrill und verzweifelt, dass sie ihn nicht zurückhalten konnte. Er prallte an den steinernen Wänden der Sakristei ab und wurde auf sie zurückgeworfen. Sie krallte die Hände in die Haare, riss an ihnen.
»Beruhigt Euch!«, rief Donatus eindringlich. »Dr. Spindler schickt mich. Er ist auf dem Weg ins Lochgefängnis, und er wird Katharinadort wieder herausholen. Das hat er mir versprochen, und das soll ich Euch sagen.«
Dr. Spindler war bei Katharina? Das war gut! Sie spürte, wie der Aufruhr in ihrem Gemüt sich legte. Spindler würde wissen, was zu tun war. Mechthild schaute zu Donatus auf, und sie erkannte, dass noch etwas folgen würde.
Besorgt wirkte er, obwohl er wusste, dass Spindler sich der Sache annahm. Warum nur? »Da ist noch etwas«, murmelte er. »Ich brauche Euren Rat.«
»Was für einen Rat?«, krächzte sie.
»Ich glaube jetzt, zu wissen, wer der Kerl ist, der die Scholaren vergewaltigt.«
Was kümmerten sie die Scholaren, wenn doch Heinrich ihre Tochter in seiner Gewalt hatte? Mechthild schaute Donatus in das blasse Gesicht.
»Ich verstehe nicht«, hörte sie sich sagen.
Donatus sah so traurig aus! »Dr. Spindler«, murmelte er.
Sie begriff immer noch nicht, und erst, als er es wiederholte, als er es noch einmal in aller Deutlichkeit sagte, verstand sie.
»Dr. Spindler ist das Schwein, das die Scholaren vergewaltigt!«
Der Rosenkranz glitt ihr aus den kraftlosen Fingern und fiel klirrend zu Boden.
Donatus’ Stimme wurde zu einem Donnern in ihrem Verstand. »Kann es wirklich sein? Ich habe Tobias angefleht, es mir zu sagen, doch er hat es nicht getan«, hörte sie ihn faseln. »Aber er hat eine Andeutung gemacht, kurz bevor sie ihn hingerichtet haben. Er hat gepfiffen, genau wie Kilian damals, dieses furchtbare Pfeifen …« Er holte zitternd Luft. »Es ergibt jetzt alles einen Sinn, aber ich will es nicht glauben. Das ist der Grund, warum ich hier bin, Frau Augspurger. Weil ich nicht weiß, was ich tun soll. Ich meine, er wird Katharina helfen, das hat er versprochen, aber …«
Der Rest seiner Worte verschmolz zu einem einzigen sinnlosen Dröhnen, das den Hintergrund für Mechthilds Entsetzen bildete. Tobias hingerichtet? Spindler? Ein Opfer der Fleischeslust, vor der er sie selbst so oft und so eindringlich gewarnt hatte? Was konnte jetzt noch geschehen, um sie in die unendlichen Tiefen der Verzweiflung zu stürzen? »Ist das alles wahr?«, wisperte sie.
Donatus musste ihr nicht darauf antworten. Sie sah die Antwort in seinen Augen, in der grenzenlosen Enttäuschung, die er empfand, weil er Spindler liebte und verehrte, so, wie sie es tat, so wie sie alle es taten, die Dienstleute, die Scholaren …
Ihr Schluchzen wurde zu einem Wimmern, als ihr bewusst wurde, wie gründlich Gott ihr Leben zertrümmert hatte. Nichts von dem, was sie erfleht hatte, hatte er ihr gewährt. Im Gegenteil: Er hatte sie verhöhnt, indem der einzige
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