Madonna
Gänge keuchte und zunehmend vergebens versuchte, nicht auf den Schmerz in seiner Schulter zu achten.
Arnulf führte sie bis zu einer saalartigen Höhle, einem natürlich gewachsenen Gewölbe mit Wänden aus rohem Felsgestein und einigen uralten, gemauerten Säulen, die wirkten wie die eines alten heidnischen Tempels. Grauen erfasste Richard beim Anblick dieses Ortes, und Erinnerungenan die schrecklichen Qualen, die er hier hatte erleiden müssen, überfielen ihn hinterrücks. Doch dann verging alles Entsetzen schlagartig, bis auf ein einziges.
Das schlimmste von allen.
Mitten in der Höhle hockte Spindler auf dem Fußboden.
In seinem Schoß lag Katharina. Ihre Augen waren geschlossen, und auf ihrem Leib zeichnete sich ein langsam größer werdender Blutfleck ab.
Wäre da nicht der Dolch in Spindlers Hand gewesen, er und Katharina hätten ausgesehen wie die Pietà in der Heilig-Geist-Kapelle!
Das war der einzige klare Gedanke, den Donatus beim Anblick Katharinas in Dr. Spindlers Armen zu fassen vermochte.
»Was habt Ihr getan?« Er schrie, und seine Stimme brach bei dem letzten Wort. Seine Kehle schmerzte von dem Entsetzen, das er durch sie hindurchgezwängt hatte.
Spindler, der bis eben mit tränenüberströmtem Gesicht auf Katharina niedergeblickt und sie sanft gewiegt hatte, schaute nun auf. Ein Flackern stand in seinen Augen, das Donatus noch nie zuvor dort gesehen hatte. War es Trauer? Zorn? Irrsinn? Am wahrscheinlichsten erschien ihm noch tiefe Verzweiflung.
»Was habt Ihr getan?« Diesmal flüsterte er.
Spindler ließ den Dolch sinken. Seine Spitze traf klirrend auf dem steinernen Fußboden auf.
»Katharina!« Richard Sterner wollte vorwärtsstürzen, aber sofort zuckte Spindlers Hand mit der Klinge wieder in die Höhe.
»Bleibt, wo Ihr seid!«
»Ruhig!« Arnulf legte Sterner den Arm quer vor die Brust. Es kostete Sterner unmenschliche Kräfte stehen zu bleiben, das war ihm anzusehen.
»Herr im Himmel«, flüsterte er.
Auf einmal merkte Donatus, dass seine Wangen kalt waren. Er tastete darüber und begriff, dass auch er weinte. Wie Spindler weinte er, weil endlich alles – alles! – einen grausamen Sinn ergab. »Warum habt Ihr das getan?«, wisperte er.
»Sie musste beschützt werden!« Kaum noch menschlich klang Spindlers Stimme. »Die Jungfräulichkeit. Sie ist so ein kostbares Gut.Ich musste sie beschützen, weil ihre Reinheit das Einzige war, was mir Tag für Tag vor Augen gehalten hat, dass es Grund gibt, auf die göttliche Gnade zu hoffen.«
»Darum habt Ihr Rotgerber ermordet und die Marktfrau«, warf Arnulf ein. Er sprach mit sehr beherrschter Stimme, und Donatus bewunderte ihn für die Ruhe, die er ausstrahlte. Nur an den weißen Knöcheln seiner Schwerthand war zu erkennen, wie angespannt auch er war.
Katharina in Spindlers Schoß rührte sich nicht. Und der Blutfleck auf ihrem Leib breitete sich unerbittlich aus.
»Und Silberschläger, der sie einkerkern wollte.« Spindler nickte. Sein Blick war verschleiert, als erlebe er all die Morde in Gedanken wieder und wieder und wieder. »Und diesen Inquisitor.« Er lachte bitter auf. Das Geräusch fuhr Richard durch Mark und Bein.
»Bitte«, flehte er. »Lasst mich nach ihr sehen. Sie stirbt!«
Spindlers Blick wanderte zu Katharinas bleichem Gesicht, und es schien, als fiele ihm erst jetzt wieder ein, dass er sie überhaupt im Arm hielt. »Das ist nur recht«, murmelte er.
»Warum?«, brüllte Richard. Wieder wollte er vorwärtsstürzen, wieder hielt Arnulf ihn zurück.
»Wir müssen ihn am Reden halten, sonst sticht er erneut auf sie ein«, sagte der Nachtrabe leise.
Richard nickte Arnulf zu. Dessen Besonnenheit war wie ein rotes Tuch für ihn, aber er setzte sich nicht gegen sie zur Wehr. Sein gesamter Körper fühlte sich an, als sei das Erz, mit dem er ausgegossen worden war, brüchig geworden. Ein einziger Schlag, und er würde in tausend Teile zerspringen. »Warum?«, fragte er erneut.
»Weil sie mich belogen hat!« Plötzlich schrie auch Spindler. Aus weitaufgerissenen Augen starrte er Richard an, dann sackte er in sich zusammen und fing wieder an zu weinen. »Sie war gar nicht jungfräulich. Schon als Kind nicht mehr!«
In Richards Herzen zerbarst etwas. Er sah den fragenden Blick Arnulfs, seine bestürzte Miene, den Schrecken, als der Nachtrabe begriff, dass es stimmte, was Spindler sagte. Mechanisch nickte er. Es war wahr. Das war es, was Mechthild ihm zugeflüsterte hatte, als sie im Sterben lag.
»Sie wurde als Kind
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