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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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ist denn?« Rotgerber ließ die Schreibfeder sinken und unterdrückte den Wunsch, den massigen Mann zurechtzuweisen. Seit Stunden schon saß er über seinen Büchern und Abrechnungen, weil er nicht hatte schlafen können. Es gab einfach zu viel zu tun und zu bedenken, als dass er die Ruhe gefunden hätte, im Bett liegen zu bleiben, sobald der Schlaf ihn erst einmal verlassen hatte. Nicht, dass er nicht müde war, heilige Mutter Gottes, er war sogar todmüde! Agnes, seine Frau, schimpfte in der letzten Zeit immer häufiger mit ihm. Sie behauptete, er würde sich irgendwann noch einmal zu Tode schuften.
    Vielleicht, dachte er, war das gar kein so schlechter Gedanke. Dann hätte er wenigstens endlich seine Ruhe vor all diesen mühseligen und unangenehmen Pflichten. Wenn er doch nur vor ein paar Tagen den Mumm aufgebracht hätte, die fünf Männer vom Stadtrat, die für die Bestallung der verschiedenen Spitalpfleger in der Stadt verantwortlich waren, um einen Gehilfen zu bitten!
    Während Rotgerber all diese Gedanken durch den Kopf gingen, schloss Dr. Krafft mit einer sanften Geste die Tür hinter sich und trat vor das Schreibpult hin. »Der Maurer, der gestern beim Einsturz des Gerüstes verletzt wurde …«, begann er. Er hatte seinen Hut in der Hand und drehte ihn unablässig. Seine Kleidung sah mitgenommen aus, gerade so, als trüge er sie noch vom gestrigen Tag. Schlief denn dieser Mann ebenfalls nie?
    »Was ist mit ihm?«, seufzte Rotgerber.
    »Er hat sich das Bein gebrochen. Ein komplizierter Bruch, eine offene Wunde, und ich muss …«
    Rotgerber riss eine Hand in die Höhe. »Verschont mich!« Er wollte keine Einzelheiten hören. Er war Verwalter des Spitals, kein Medicus. Er kannte sich mit Zahlen aus, und er war gut darin, die Menschen, die für Heilig-Geist arbeiteten, zu Höchstleistungen anzuspornen, so dass die Vorratskammern immer gut gefüllt waren. Aber er wollte verdammt sein, wenn er Freude daran empfand, sich mit Krafft über so ekelige Dinge wie offene Wunden oder gar eitrige Geschwüre zu unterhalten.
    Sein empfindlicher Magen hob sich, und Rotgerber unterdrückte ein saures Aufstoßen. Krafft schien nicht zu bemerken, wie unwohl ersich bei diesem Thema fühlte, und das war auch gut so. Außer Agnes wusste niemand davon, und Rotgerber setzte alles daran, dass dies auch so blieb. »Was braucht Ihr?«, fragte er.
    Krafft knetete seinen Hut. Die Feder daran hatte einen hässlichen Knick. Der Medicus würde sie über kurz oder lang austauschen müssen, wenn er nicht wie ein Gockel mit gerupftem Kleid einherstolzieren wollte. »Die Familie macht dem Spital Vorwürfe. Sie sagen, die neue Sutte hätte niemals auf dem sumpfigen Untergrund so nahe am Fluss gebaut werden dürfen, und sie verlangen, dass Heilig-Geist für die Kosten der Behandlung aufkommt.«
    »Wie teuer, schätzt Ihr, wird uns das kommen?«
    »Nun, meine Dienste sind Euch sicher«, sagte Krafft. »Aber ich fürchte, das ist nicht das Wesentliche. Viel wichtiger ist, dass die Ehefrau darüber hinaus fordert, dass wir für den Verdienstausfall aufkommen. Er hat vier Kinder, und keines davon ist alt genug, um anstelle des Vaters Geld nach Hause zu bringen.«
    Rotgerber knirschte mit den Zähnen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Ende dieses Monats stand die jährliche Abfindungszahlung an, die das Spital dem Pfarrer von St. Sebald zu zahlen hatte, weil es ihm einige wichtige Einnahmen, hauptsächlich Seelenmessen, weggenommen hatte. Agnes, die als Spitalmeisterin für die Küche und die Wäsche verantwortlich war, hatte ihm gestern erst klargemacht, dass sie neue Betttücher für die Pfründnerinnen brauchten, und Kerzen mussten auch gekauft werden, wenn sie den Winter über nicht mit der frühen Dämmerung ins Bett gehen wollten.
    »Wir sind zurzeit nicht besonders üppig mit Mitteln ausgestattet«, sagte Rotgerber. »Zumal der neue Priester in den nächsten Tagen erwartet wird und wir das Geld, das für seine Stelle vorgesehen ist, dann nicht mehr zur freien Verfügung haben.« Nachdem der Vorgänger des Priesters, den sie vor einigen Wochen erbeten hatten, überraschend an einer Blutvergiftung verstorben war, hatte Rotgerber die Mittel, die eigentlich für die Neubesetzung der Stelle vorgesehen waren, anderweitig verwendet. Sobald der neue Priester jedoch da war, würde das nicht mehr möglich sein.
    Der Medicus nickte. »Ich weiß. Dennoch denke ich, dass wir gut daran täten, der Frau des Maurers irgendwie entgegenzukommen. Sonst

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