Madonna
Weise rührte sie das.
»Ich habe dir schon ein paarmal erklärt, dass du dir keine Gedanken darum machen musst«, erklärte sie. Ihr Atem stieg als weiße Wolke vor ihrem Gesicht empor. »Durch das Licht im Haus wird die melancholia unserer Schützlinge im Zaum gehalten. Auf diese Weise sparen wir an anderer Stelle.«
Donatus verdrehte die Augen. »Bei der Medizin, ich weiß schon!«
»Warum meckerst du dann immer wieder daran herum?« Katharinas Blick huschte erneut zu dem Mann in Schwarz auf der anderen Seite der Gasse. Er hatte sich bisher nicht von der Stelle gerührt. Sein Körper schien mit den Schatten verschmolzen zu sein.
»Weil die melancholia von einem Überschuss schwarzer Galle im Körper herrührt. Ein vernünftiger Aderlass hilft am besten dagegen – und nicht dieser Unsinn mit Lampen und Gesprächen.«
Katharina hatte eigentlich keine Lust darauf, dieses Gespräch schon wieder zu führen, aber sie hoffte, Donatus so von weiteren Fragen nach Egbert – und vor allem nach Richard – abzulenken, also machte sie gute Miene zum bösen Spiel.
»Ein Aderlass ist nicht das Mittel der Wahl, um diese Krankheit zu bekämpfen!«, sagte sie und betonte dabei das Wort Krankheit . Vorsorglich zog sie die Ärmel ihres Mantels tiefer über die Handgelenke, aber genau das, bemerkte sie im nächsten Moment, war ein Fehler.
Donatus sah es und runzelte die Stirn. Katharina wusste, dass er die feinen Schnittnarben an ihren beiden Armen schon vor längerer Zeit entdeckt hatte und dass er sich fragte, was sie wohl zu bedeuten hatten. Sie war froh darüber, dass er bis heute nicht gewagt hatte, sie danach zu fragen, aber sie ahnte, dass es auch bis dahin nicht mehr lange dauern würde.
»Ich weiß, dass du grundsätzlich gegen den Aderlass bist«, sagte er nun. »Selbst wenn du offenbar früher öfter dieser Behandlung unterzogen worden bist!« Mit dem Kinn deutete er auf ihre Handgelenke.
Sie unterdrückte den Impuls, die Hände auf dem Rücken zu verschränken. »Du hast recht«, erklärte sie. »Ich wurde früher oft zur Ader gelassen, aber es hat meine … Krankheit nicht heilen können.« Sie zögerte, bevor sie den Satz beendete, und das entging Donatus nicht.
Er rieb sich die Nase. »Deine Krankheit.« Sie waren jetzt an dem entscheidenden Punkt angekommen. Katharina ahnte, dass sie ihm besser nicht noch einmal auswich, denn das würde ihn nur noch hartnäckiger nachfragen lassen. Um jeden Preis jedoch wollte sie vermeiden, dass er wieder von Egbert und Richard anfing. Also beschloss sie, ihm ein wenig entgegenzukommen.
Langsam nickte sie und suchte nach den richtigen Worten, mit denen sie ihrem Bader erklären konnte, was mit ihr los war.
Früher war ich wie gelähmt durch die Macht, die die melancholia übermich hatte, erschien ihr nicht besonders passend. Aber wie sollte sie es dann ausdrücken?
Sie grübelte noch, als Donatus’ Stimme sie aus ihren Gedanken riss. »Du selbst leidest an der melancholia .«
Es klang so einfach, wenn er das sagte.
Sie nickte, und er tat es ihr gleich.
»Darum kümmerst du dich um diese Frauen da drinnen.« Plötzlich begriff sie, dass er sich lange Gedanken darüber gemacht hatte, was sie dazu antrieb, ihr gesamtes Vermögen für dieses Haus auszugeben, für das Haus und die Handvoll mittelloser, zum Teil gemütskranker Frauen, die sie darinnen aufgenommen hatte.
Donatus wies auf Katharinas Handgelenke. »Es war dein Ehemann, der dich zur Ader gelassen hat, oder?«
Brachte ihn denn heute alles auf Egbert? Katharina biss die Zähne zusammen. Der Mann in Schwarz rührte sich jetzt. Katharina blickte ihn an.
Donatus bemerkte ihren Blick und folgte ihm, doch der Mann in Schwarz glitt zurück in die Schatten, bevor der Bader ihn entdeckt hatte. »Und du hattest nicht das Gefühl, dass es etwas nützt.« Donatus wägte seine Worte. Ihm war ebenso wie Katharina bewusst, dass er sich auf sehr dünnem Eis bewegte.
Es gab nur sehr wenige Menschen auf dieser Welt, denen sich Katharina jemals anvertraut hatte. Einer davon war … Richard Sterner … Tief holte sie Luft und schob die schmerzhaften Erinnerungen von sich. »Nein«, antwortete sie Donatus. »Das hatte ich nicht. Im Gegenteil: Wenn er mir besonders viel Blut abließ, dann machte das die Sache oftmals nur noch schlimmer.« Sie besann sich, überlegte, wie sie es am besten in Worte fassen konnte. »Ich beschreibe die melancholia oftmals als Spinnweben, die mir die Gedanken verkleben. Aber die meisten Menschen,
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