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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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sie die Gasse an der Frauentormauer halb durchquert, als ihnen jemand entgegenkam. Es war ein schlanker, hochgewachsener Mann, der den langen Mantel eines Gelehrten trug, darüber jedoch einen modisch aussehenden, samtenen Hut mit einem breiten Pelzbesatz. Sein Gesicht war von der morgendlichen Kälte gerötet, und auch in seinen Wimpern hingen Tröpfchen, das sah Katharina, als der Mann dicht vor ihr stehen blieb. Ihm folgte, in zwei oder drei Schritten Abstand, ein Junge, den Katharina noch nie zuvor gesehen hatte.
    »Guten Morgen, Frau Jacob.« Der Gelehrte lüpfte den Hut und zum Vorschein kamen hellbraune, kurzgeschnittene Haare, die sich ihm in kleinen Locken um die Ohren kringelten. Dann nickte er Donatus zu. »Herr Bader!«
    »Guten Morgen, Herr Öllinger!« Katharina hatte Georg Öllinger durch einen gemeinsamen Bekannten, den Nürnberger Medicus Hartmann Schedel, kennengelernt. Öllinger besaß in der Nähe des »Roten Ochsen« eine kleine Apotheke, in der er mit Erlaubnis des Stadtrates Medizin herstellte und an die Ärzte der Stadt verkaufte. Katharina wusste nicht genau, wie alt er war, aber seinem Aussehen nach schätzte sie ihn auf Anfang, Mitte dreißig. Seine Frau war vor drei Jahren bei der Geburt ihres zweiten Kindes gestorben, und seitdem kümmerte er sich fürsorglich um seinen kleinen Sohn und auch um seinen Ältesten, der den gleichen Vornamen trug wie er.
    Donatus erwiderte Öllingers Gruß recht beiläufig.
    Katharina gab Öllinger die Hand. »Was treibt Euch zu so früher Stunde schon auf die Beine?« Neugierig versuchte sie einen Blick an Öllinger vorbeizuwerfen, doch der Junge hielt sich schüchtern direkt hinter dessen Rücken verborgen, so dass sie ihre Bemühungen vorerst aufgab.
    Öllinger fiel gewöhnlich nicht mit der Tür ins Haus, aber jetzt antwortete er ohne Umschweife auf Katharinas Frage. »Ich brauche Eure Hilfe.«
    Katharina hob die Augenbrauen. »Meine Hilfe?«
    Öllinger langte hinter sich und zerrte den Jungen nach vorn.
    Jetzt erst konnte Katharina ihn genauer betrachten. Er war ebenfalls groß, allerdings nicht ganz so groß wie Öllinger. Seine Gestalt war schlaksig, wie das oft bei Jungen in seinem Alter der Fall war. Er mochte vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre sein. Seine Arme wirkten zu lang für seinen Körper, die Füße zu groß. Das Auffallendste an ihm war jedoch sein vollkommen kahlrasierter Schädel, der wie eine Elfenbeinkugel schimmerte. Zum Ausgleich für die Glatze hatte der Junge Augenbrauen, die ihm wie dichte, pechschwarze Raupen im Gesicht saßen und sich bewegten, sobald er seinen unruhigen Blick hinund her schweifen ließ.
    »Tobias, das ist die Frau, von der ich dir erzählt habe«, sagte Öllinger zu dem Jungen. »Ihr Name ist Katharina Jacob.« Er wandte sich an Katharina. »Das ist Tobias Weinmann, einer der Armen Scholaren aus Heilig-Geist.«
    Von ihren Besuchen bei ihrer Mutter im Spital wusste Katharina, dass die Spitalstiftung mehrere Stellen für Scholaren bereithielt, die zwar talentiert und intelligent waren, aber niemals genug Mittel aufbringen konnten, um an die höhere Bildung der Artes liberales zu gelangen. Während ihrer regelmäßigen Besuche bei ihrer Mutter hatte Katharina schon ein paarmal einige dieser sogenannten Armen Scholaren gesehen, doch Tobias war ihr bisher noch nie über den Weg gelaufen. An diesen auffälligen, fast seltsam anmutenden Kontrast zwischen der Glatze und den dichten Augenbrauen hätte sie sich erinnert. Und ebenso an die Art, wie dieser Junge sich gab. Er wirkte wie jemand, der darauf gefasst war, im nächsten Moment einen brutalen Tritt zu erhalten. »Warum bringt Ihr ihn zu mir?«, fragte sie.
    Öllinger, der bis eben Tobias’ Arm umklammert gehalten hatte, ließ ihn nun los. »Ehrlich gesagt, hoffe ich, dass Ihr ihn bei Euch aufnehmt.«
    Bei diesen Worten entwich Donatus ein leiser Laut der Überraschung. Katharina warf ihm einen Seitenblick zu, und sie bemerkte, dass er Tobias mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte.
    »Warum das?«, fragte sie.
    Tobias stand regungslos da und starrte auf seine Schuhspitzen.
    Öllinger räusperte sich. Er wich Katharinas Blick aus, als er antwortete. »Nun. Er braucht ein wenig Abstand von Heilig-Geist, und ich wusste, ehrlich gesagt, nicht, wohin mit ihm.« Seine Ohren hatten angefangen zu glühen.
    Wie wäre es mit Eurem eigenen Haus?, war Katharina versucht zu sagen, aber sie tat es nicht. Sie war nicht die Sorte Mensch, die ihre Hilfe verweigerte, wenn

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