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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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die darunter leiden, schildern sie einfach nur als eine allumfassende, kaum zu ertragende Mattigkeit. Und ich frage mich, wie soll eine Heilmethode, die diese Mattigkeit sogar noch steigert, die Krankheit besiegen können?«
    Donatus wirkte, als habe er so noch nie über dieses Problem nachgedacht. »Wenn es das ist …«, murmelte er. Er hatte den Blick auf das Pflaster zwischen ihren Füßen geheftet, aber jetzt schaute er auf und sah Katharina direkt an. In seinen kurzen, blonden Wimpern hingenkleine Wassertröpfchen, und Katharina ahnte, dass er sie plötzlich mit ganz neuen Augen sah. Sie vermochte nicht zu erkennen, ob das gut oder schlecht war.
    »Ich danke dir«, sagte er leise, »dass du dich mir anvertraut hast!«
    Katharina zwang sich zu einem Lächeln und verspürte sofort so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Um es nicht zu dicht an sich herankommen zu lassen, versuchte sie sich in einem müden Scherz: »Also?«, fragte sie herausfordernd. »Wer von uns beiden ist nun die erfahrenere Heilerin?«
    Donatus grinste, und er vertrieb die Anspannung dadurch, dass er so sprach, als sei er ein unerfahrener, dummer Junge. »Du, Mama!«
    Katharina nickte. »Eben!« Sie tat so, als freue sie sich über den gelungenen Scherz. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass der Mann in Schwarz sich erneut von der Mauer löste. Sie nickte ihm ein zweites Mal zu, doch heute machte er nicht wie sonst Anstalten, sich grüßend an den Hut zu tippen und dann lautlos zu verschwinden. Heute blieb er stehen.
    Jetzt endlich entdeckte auch Donatus ihn. Er runzelte besorgt die Stirn. »Was will der Kerl?«
    Katharina schüttelte den Kopf und bedeutete dem Mann damit, nicht näher zu kommen. »Er passt auf mich auf«, erklärte sie ihrem Bader.
    Donatus wirkte nicht überzeugt, aber er schien unschlüssig, wie er reagieren sollte.
    »Lass uns gehen«, bat sie. »Wir haben heute eine Menge vor.«
    Der Mann in Schwarz rührte sich nicht von der Stelle.
    Donatus nickte, und das schlechte Gewissen in Katharina wuchs noch. Er war ihr dankbar, dass sie sich ihm endlich anvertraut hatte, dabei hatte sie ihm nur einen Bruchteil dessen erzählt, was sie mit sich herumschleppte.
    Kurz wanderten ihre Gedanken in die Vergangenheit zurück, zu Egbert und seinen ungeduldigen Blicken, wenn sie sich wieder einmal in ihrer melancholia verfangen hatte. Und dröhnend laut hallten Egberts Worte in ihrer Erinnerung wider.
    Stell dich nicht so an, Katharina!
    Doch diese Worte wurden überlagert von einer anderen Erinnerung, von einer, die noch viel weiter zurücklag.
    Sie war noch ein Kind gewesen, sechs oder sieben Jahre alt vielleicht, und sie war eines Abends nach Hause gekommen. Ihr Vater hatte nur einen einzigen Blick in ihr Gesicht benötigt, um zu erkennen, dass die melancholia hinter ihrer Stirn saß und sie quälte.
    »Schon wieder?«, flüsterte ihr Vater.
    Sie nickte. Sogar diese Bewegung fiel ihr schwer.
    »Komm her!«, sagte er mit erstickter Stimme.
    Sie gehorchte. Er packte sie.
    Und zog den Gürtel aus seiner Hose.
    »Du – bist – nicht – krank!«, schrie er auf sie ein. »Du – bist – nicht –« Bei jedem einzelnen Wort klatschte der Gürtel auf ihren Rücken. »– krank!« Ihr Hemd zerriss und ebenso ihre Haut.
    Wie eine Furie hatte ihre Mutter sich schützend vor sie geworfen. Wie eine Löwin, die ihr Junges verteidigt, hatte sie Katharinas Vater angeschrien, angespuckt beinahe für das, was er ihr angetan hatte.
    Katharina selbst hatte nicht geweint. Im Gegenteil. Sie hatte den Schmerz begrüßt, denn es war besser gewesen, ihn zu spüren, als gar nichts fühlen zu können. Und so war es noch heute. In ihrer Erinnerung erlebte sie die Prügel ihres Vaters oftmals nach, und stets legte sich dann ein Band aus Eisen um ihr Herz, weil die Worte ihres Vaters in ihr widerhallten.
    Was, hatte er damals wieder und wieder gefragt, was, wenn sie besessen ist?
    All diese Erinnerungen wurden in den Hintergrund gedrängt, als der Mann in Schwarz sich endlich einen Ruck gab und zu ihnen trat. Er tippte sich gegen die Hutkrempe. »Katharina!«
    Sie neigte den Kopf. »Arnulf.«
    Donatus machte unwillkürlich einen Schritt rückwärts. Obwohl er groß und massig war, überragte der Mann in Schwarz ihn um fast eine Haupteslänge. Er hatte seine langen Rabenhaare zu einem Zopf gebunden, der ihm unter dem Hut hervor auf den Rücken fiel. »Bist du wohlauf?«, fragte er. Er hatte eine samtige Stimme, und der Blick seiner grünen Augen richtete sich mit

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