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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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mir sagen, was für ein Gesicht der Inder bei dieser Geste gemacht hat?«
    »Das konnte ich nicht sehen, da er mir ja den Rücken zukehrte«, sagt die Murzec schlicht.
    Robbie fängt wieder an zu glucksen.
    »Aber Blavatski, was für eine kindische Falle!
Once a cop, always a cop!
1 Und warum stellen Sie Madame Murzec die Falle? Sind Sie so darauf erpicht, daß sie lügt oder sich irrt? Und ist auch Ihnen so viel an der beruhigenden These gelegen, daß der Inder ein Dieb ist?«
    Caramans streift Robbie mit einem flüchtigen Blick, und seine Stimme zittert vor unterdrücktem Ärger, als er ihn fragt: »Könnten Sie mir nicht endlich sagen, was Sie unter ›beruhigend‹ verstehen? Oder handelt es sich um eines der magischen Wörter des heutigen Jargons, die überhaupt keinen Sinn haben müssen?«
    »Ich bin gern bereit, es Ihnen zu erklären«, sagt Robbie mit einem schwachen Glitzern in seinen hellbraunen Augen. »Zunächst aber eine Feststellung: Sie werden zugeben, Monsieur Caramans, daß es für die Passagiere kaum einen Unterschied bedeutet, ob der Inder die schwarze Tasche nur mitgenommen oder ins Wasser geworfen hat. In beiden Fällen werden wir den Inhalt nie wiedersehen. Also (er macht mit seinem langen Arm eine anmutige fragende Gebärde), wozu die Aufregung? Warum soviel Aufwand, um Madame Murzec des Irrtums oder der Lüge zu überführen? Ich will es Ihnen sagen: Wenn der Inder die Tasche wirklich ins Wasser geworfen hat, muß uns seine Persönlichkeit unendlich viel mehr beunruhigen. Er ist dann weder ein Luftpirat noch ein Verbrecher. Er ist etwas anderes. Ein Weiser oder ein Lehrmeister, sagt Madame Murzec. Und wer weiß dann, ob nicht seine Feindschaft zum BODEN nur vorgetäuscht war? Wer weiß, ob er nicht in Wirklichkeit vom BODEN entsandt worden ist, uns zu lehren, erleichtert zu werden?«
    »Pfff!« macht Blavatski.
    »Das ist ja der reinste Roman«, ruft Caramans.
    Diese geringschätzigen Reaktionen bringen Robbie keineswegs aus der Ruhe. Er hat sie erwartet. Er schüttelt seine langen Locken und lächelt, Schalk in den Augen, mit penetranter Unschuldsmiene. Ich falle nicht darauf herein. Ich durchschaue ihn allmählich: seine Manieriertheit ist Bestandteil seiner pubertären Aggressivität, die er nie zu überwinden vermochte. Aber darunter ist meistens ein ernsthafter Gedanke verborgen.
    »Nehmen Sie dagegen an, daß Madame Murzec sich irrt«, fährt er sarkastisch fort. »Oh, dann ist alles in bester Ordnung! Wir sind gerettet! Wir waren Opfer eines banalen Überfalls! Der Inder ist ein gewöhnlicher Strolch! Und diese Reise isttrotz des kleinen Zwischenfalls eine Reise wie jede andere! Wir können sogar hoffen, eines Tages irgendwo zu landen!« Er hebt die Stimme: »Vielleicht in Madrapour, wer weiß! In einem Vier-Sterne-Hotel am Ufer eines Sees! …« Er lacht. »Und deshalb, Monsieur Caramans, ist die These von dem diebischen Inder für Sie so beruhigend.«
    Caramans zuckt leicht die Schulter, was sein Desinteresse kundtun soll. Dann senkt er den Blick, stellt die Beine nebeneinander und igelt sich ein: wieder erinnert er mich an eine Katze. Als hoher Beamter kennt er sich offenbar aus in der Kunst, eine lästige Akte zu begraben. Man ringelt den Schwanz um die Pfoten und setzt sich drauf.
    “Balls!”
2 sagt Blavatski, der keine so gute Erziehung genossen hat.
    Ich warte, aber er läßt es dabei bewenden. Er hakt nicht ein. Auch er kneift.
     
    Erschöpft von dieser Szene, schließe ich die Augen. Ich entdecke ein neues Element: es gibt jetzt im Kreis eine Mehrheit und eine Minderheit, voneinander unterschieden durch das Bild, das sie sich von dem Inder und infolgedessen von der Bedeutung dieser Reise machen.
    Zu dieser Minderheit, der die Murzec, Robbie und ich selbst angehören (obwohl ich mich, wie eben ein Engländer tut, nur am Rande engagiert habe), rechne ich auch die Stewardess trotz ihres Schweigens, das sie in der Diskussion gewahrt hat. Sie hat mir eigentlich nie anvertraut, was sie von der Persönlichkeit des »Piraten« hält, aber ich weiß hingegen, wie sie über den Flug dieser Chartermaschine denkt. Ich erinnere mich genau: als ich ihr beim Aufwachen empfahl, sich wegen Bouchoix nicht zu beunruhigen, da wir von unserem Ziel nicht mehr sehr weit entfernt sein könnten, hat sie zweifelnd gefragt: »Glauben Sie das?«
    Gewiß, ich könnte sie immer wieder fragen und zu erfahren versuchen, was wirklich in ihr vorgeht, wenn sie einen solchen Skeptizismus an den Tag legt. Ich

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