Madrapour - Merle, R: Madrapour
gut!« sagt Caramans triumphierend. »Und als er das Flugzeug verläßt, folgen Sie ihm wie der Jünger seinem Herrn. Ein Jünger, der es selbstverständlich für undenkbar hält, daß sein verehrter Meister ein gewöhnlicher Dieb ist. Demzufolge ist es nötig, daß der Inder sich seiner Beute entledigt – und eben das glauben Sie gesehen zu haben …«
Die Pause ist nur kurz. Die Murzec, die Caramans noch immer unverwandt ansieht, sagt mit klarer Stimme:
»Bedauerlich, Monsieur, für Ihre beruhigende These ist, daß ich nicht gesehen zu haben
glaube
, wie der Inder die Tasche in den See warf: ich habe es gesehen.«
In der Art, wie sie spricht, und in dem blitzenden blauen Blick, der ihre Worte begleitet, deutet sich gleichsam eine Wiederauferstehung der alten entnervenden Murzec an.
»Beruhigend!« ruft Caramans, mit hochrotem Gesicht sich aufrichtend. »Und wieso ist diese These für mich beruhigend, können Sie mir das sagen?«
Eine Schwelle ist überschritten: die Schwelle der Selbstbeherrschung eines Diplomaten. Aber noch überraschender ist die sichtliche Veränderung der Murzec. Kaum hat die Luft gezittert von Caramans’ Entrüstung, scheint die Murzec zu erschlaffen, von Zerknirschung gepackt. Sie legt ihre Hände flach auf die Knie, senkt die Augen, krümmt den Rücken, läßt die Schultern hängen und sagt reuevoll:
»Monsieur, wenn meine Worte Sie gekränkt haben, nehme ich sie zurück und bitte Sie aufrichtig um Verzeihung.« Und da Caramans schweigt, setzt sie mit einem Seufzer hinzu: »Leider ist es so, daß Leute, die wie ich ihr Leben lang bösartig waren, sich nicht so schnell von einem gewissen Automatismus befreien können. Aggressiv sein, das ist so einfach. Sehen Sie«, fährt sie mit einer poetischen Anwandlung fort, die mich ebenso erstaunt wie ihre Aufrichtigkeit, »bei mir sind das Gift dem Herzen und die verletzenden Worte den Lippen so nahe … Ich bitte Sie, Monsieur, noch einmal demütig um Verzeihung.«
Es folgt tiefe Stille – wenn man von den Ansagen der Pokerspieler absieht. Ich beobachte mit gemischten Gefühlen, wie diese kleine französische Frömmlerin in vollen Zügen die bitteren Wonnen der Selbstanklage genießt.
Caramans beißt sich in die zum Flunsch verzogenen Lippen. Wer in seinem ganzen Leben – von den Ordensbrüdern des heiligen Jean-Baptiste bis zum Quai d’Orsay – immer der Brillanteste gewesen ist, darf sich von niemandem in den Schatten stellen lassen, und sei es in der Demut.
»Madame«, sagt er würdevoll und mit erstaunlich gut gespielter Zerknirschung, »ich bin es, der sich bei Ihnen entschuldigen muß, da ich mir erlaubt habe, die Wahrheitstreue, wenn nicht gar die Aufrichtigkeit Ihres Berichtes anzuzweifeln.«
Ich sehe ihn an. Die »Wahrheitstreue, wenn nicht gar dieAufrichtigkeit Ihres Berichtes«! Mein lieber Caramans! Gute alte Rhetorik! Und gutes altes Frankreich, wo niemand hoffen kann, in die höchsten Ämter der Verwaltung oder der Regierung zu gelangen, wenn er im Gymnasium nicht die besten Noten für lateinische Übersetzungen erhalten hat.
»Nein, nein«, erwidert die Murzec, während sie mit nicht zu bremsender Gewissensqual den Kopf schüttelt, »Sie hatten allen Grund, meinen Bericht in Zweifel zu ziehen und mich für verrückt zu halten.«
Unruhig wirft Caramans mir einen lebhaften Blick zu, um zu erfahren, ob ich der Murzec unser Gespräch vom Morgen wiedergegeben habe. Ich schüttele den Kopf, und noch immer fest entschlossen, der Reumütigere zu sein, sagt er noch leiser und in ernstem Tonfall:
»Ich habe Sie niemals für … gehalten, Madame, aber ich habe den großen Fehler begangen, Ihre Aussage in einer Weise anzufechten, daß Ihnen mein Zweifel beleidigend erscheinen mußte.«
Hier bricht Robbie in Gelächter aus und erntet von allen Seiten strenge Blicke. Als es ihm schließlich gelingt, wieder ernst zu werden, sagt er, ein letztes Glucksen unterdrückend:
»Wenn dieser kleine Wettstreit in Nächstenliebe zwischen unseren beiden guten Christen beendet ist, könnten wir vielleicht zum eigentlichen Problem zurückkehren …«
Er kommt nicht weiter, denn Blavatski tritt mit heruntergeklapptem Visier unüberhörbar in die Schranken.
»Madame Murzec«, sagt er, »nach Ihrer Darstellung ließ der Inder im Gehen seine schwarze Kunstledertasche über dem Wasser pendeln. Plötzlich streckte er den Arm aus und machte die Hand auf. Stimmt das?«
»Ja«, erwidert die Murzec, »so ist es gewesen.«
»Danke. Und können Sie
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