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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Gericht!«
    Bei diesen Worten faltet er die Zettel sorgfältig und läßt sie demonstrativ in die Innentasche seines Jacketts gleiten.
    »Vor Gericht!« rufen Robbie und Blavatski gleichzeitig.
    Indessen sind sie weit entfernt, das gleiche zu meinen. Robbie begleitet seinen Ausruf mit einem höhnischen Lachen und der üblichen Mimik (Hand vor dem Mund, zuckender Unterleib, ineinander verwickelte Beine): Ihm erscheint die Anrufung der Justiz durch einen Passagier dieser Chartermaschine einfach absurd. Für Blavatski dagegen ist solche Anrufung nicht an sich ausgeschlossen, sondern scheint nur von Chrestopoulos’ Seite sehr unwahrscheinlich zu sein.
    »Und an welches Gericht werden Sie sich wenden, Monsieur Chrestopoulos?« fragt Blavatski mit eiskaltem Blick. »An ein französisches oder an ein griechisches?«
    »Natürlich an ein französisches«, entgegnet Chrestopoulos mit spürbarer Verlegenheit.
    »Und warum an ein französisches?«
    »Weil Monsieur Pacaud doch Franzose ist.«
    »Und warum nicht an ein griechisches, weil Sie doch Grieche sind? Haben Sie einen Grund, Monsieur Chrestopoulos, der es Ihnen nicht wünschenswert erscheinen läßt, sich an ein griechisches Gericht zu wenden?«
    »Ich habe keinen«, sagt Chrestopoulos und wahrt seine Haltung ganz gut, aber der Schweiß verrät ihn, der ihm auf die Stirn tritt und längs seiner Nase hinunterrinnt. Gleichzeitig wird der Geruch, den er ausströmt und der möglicherweise auf andere Absonderungen zurückzuführen ist, unerträglich.
    »Aber ja doch«, sagt Blavatski und schiebt sein kräftiges Kinn vor. »Hatten Sie nach dem Sturz des Obristenregimes nicht einige Schwierigkeiten mit der Justiz Ihres Landes, Monsieur Chrestopoulos?«
    »Keineswegs!« ruft Chrestopoulos und drückt ohne jegliche Notwendigkeit seine stinkende Zigarre aus.
    Vielleicht tut er das, um Haltung zu bewahren und Gelegenheit zu haben, die Augen zu senken. Aber er hat sich verrechnet, der ganze Kreis blickt auf seine Finger und sieht, daß sie zittern. Er bemerkt es selbst, denn er läßt die Zigarre halb ausgedrückt im Aschenbecher liegen und steckt seine Hände in dieTaschen, was nicht einfach ist, da seine Hose sich über seinem Bauch spannt.
    Schweigen. Chrestopoulos bläst in seinen Schnurrbart.
    »Ich habe mich nie um Politik gekümmert«, fügt er mit ehrbarer Miene hinzu.
    »Stimmt«, sagt Blavatski.
    »Und ich bin niemals unter Anklage gestellt worden.«
    »Stimmt auch«, sagt Blavatski. »Doch Sie sind als Zeuge im Prozeß gegen einen Offizier vorgeladen worden, der unter dem Obristenregime ein Lager politischer Gefangener befehligte. Dieser Offizier soll mit Ihnen zusammen die für das Lager bestimmten Nahrungsmittel gewinnbringend verhökert haben …«
    »Das war eine völlig legale Sache«, sagt Chrestopoulos, ohne auf den Gedanken zu kommen, daß allein dieses Adjektiv ein Eingeständnis ist.
    »Vielleicht«, sagt Blavatski in schneidendem Ton. »Legal nach den Gesetzen jener Zeit. Jedenfalls haben Sie es vorgezogen, Griechenland zu verlassen, anstatt Ihre Zeugenaussage vor diesem Gericht zu machen. Was nicht zugunsten Ihrer Unschuld spricht.«
    »Ich habe Griechenland aus persönlichen Gründen verlassen«, sagt Chrestopoulos mit aufzüngelnder Entrüstung, die nur ein Strohfeuer bleiben wird.
    »Aber gewiß! Und aus persönlichen Gründen begeben Sie sich jetzt nach Madrapour?«
    »Ich habe auf diese Unterstellungen bereits gebührend Antwort gegeben«, ruft Chrestopoulos mit einer Heftigkeit, die niemanden täuscht.
    Ein Rauchvorhang, um seine Niederlage zu verbergen, die nun vollständig ist. Sein Gesichtsverlust hinterläßt bei uns eine peinliche Empfindung, die keineswegs gemildert wird, als die Murzec leise sagt: »Ich werde für Sie beten, Monsieur.«
    »Lassen Sie mich mit Ihren Gebeten in Ruhe!« brüllt Chrestopoulos unbeherrscht und zieht die Schultern hoch, aber seine Hände bleiben tief in den Taschen, wie von unsichtbaren Handschellen festgehalten.
    Wie sehr mir auch seine Vergangenheit Abscheu einflößt, in diesem Augenblick bedaure ich ihn fast, genauer gesagt: ich würde ihn bedauern, wenn nicht seine lange schwärzliche Zigarreweiter in dem Aschenbecher qualmte. Ich kann mich jedoch nicht entschließen, das Wort an ihn zu richten, nicht einmal, damit er die Zigarre ausmacht. Beim Anblick dieses Mannes, der politische Gefangene ausgehungert hat und jetzt in meiner Nähe sitzt, spüre ich Scham und fast ein Schuldgefühl, als ob in mir wie in ihm die

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