Madrapour - Merle, R: Madrapour
erstaunlich, besonders bei Blavatski. Denn Caramans wollte von Anfang an eine Vogel-Strauß-Politik betreiben. Er hat niemals gezweifelt, daß wir am Ziel ankommen würden und daß dieses ZielMadrapour wäre. Für ihn, den hohen Beamten, fällt die offizielle Wahrheit auch bei Abweichungen unter allen Umständen mit der Wahrheit schlechthin zusammen. Es bedurfte eines langen Erziehungsprozesses, um Caramans diese Flexibilität im Glauben beizubringen, aber jetzt stellt sie sich mühelos ein. Zur Stunde glaubt er, was zu glauben er für angebracht hält. Es gibt den verläßlichen Dienstweg und die eingefahrenen Geleise, alles andere riecht nach Ketzerei.
Blavatski hingegen kommt aus einer anderen Schule. Er glaubt nichts ohne Beweise, er sucht, schnüffelt, kombiniert, wühlt in der Tasche des Griechen, klettert in den Frachtraum, unterwirft die Stewardess einem polizeilichen Verhör; lange vor dem Inder hat er als erster Zweifel an der Existenz von Madrapour gesät.
Ein Beweis, daß er sich sehr geändert hat! Die Murzec schleudert ihm jetzt unwiderlegbare Tatsachen ins Gesicht: eine Flugroute, einen Flugplan, Zwischenlandungen … Er sagt kein Sterbenswörtchen! Mehr noch: die Stewardess gesteht zumindest indirekt ein, daß sie von Anfang an gemerkt hat, wie die Chartermaschine völlig von der Indienroute abwich, aber Blavatski stürzt sich mitnichten auf sie. Weit entfernt, sie schmoren zu lassen, verschanzt er sich hinter einer verächtlichen Zurückhaltung. Man könnte meinen, er habe Angst, mehr zu erfahren.
Anhaltendes Schweigen folgt den Worten der Murzec. Wenn sie nicht unerbittlich auf ihrer demutsvollen Haltung beharrte, würde sie wohl den Fehdehandschuh aufheben und die Mehrheit bis in ihre letzten Schlupfwinkel verfolgen. Statt dessen nimmt sie voll Ergebenheit hin, daß ihre Bemerkungen mißachtet werden, und schweigt, die harten Augen sanft auf ihre knochigen Knie niedergeschlagen.
Die Stewardess räumt die Tabletts weg, und Robbie nutzt ihre Abwesenheit, um sich neben mich zu setzen und sich nett und taktvoll nach meinem Gesundheitszustand zu erkundigen. Ich teile ihm jetzt meine Beobachtungen über den Treibstoff der Chartermaschine mit, und er gibt mir die bereits erwähnte Antwort: »Das hat nichts mit Science-fiction zu tun.«
Aber unser Gespräch ist damit nicht zu Ende. Obwohl ich nicht sicher bin, seine Worte richtig verstanden zu haben, bin ich doch überzeugt, daß er sie nicht ohne Grund gesagt hat. Ich setzegroßes Vertrauen in sein Auffassungsvermögen und in seine Sensibilität. Und ich sage mit einer Stimme, deren Schwäche ich zu verbergen suche:
»Jedesmal wenn ich mich bemühe, die Situation zu begreifen, stoße ich auf eine Mauer. Das ist beängstigend. Ich vermag auf keine der Fragen zu antworten, die ich mir stelle. Zum Beispiel, warum hat das Flugzeug keinen Piloten?«
Robbie, der auf dem Sessel der Stewardess eine graziöse Pose eingenommen und seine langen Beine ineinander verschlungen hat wie Jonquillenstiele in einer Vase, sieht mich ernsthaft an.
»Sergius, Sie fragen nach der Finalität dieses Fluges ohne Besatzung? Vielleicht hat er gar keinen Sinn … Hat denn das Leben selbst einen Sinn? Ah ja, gewiß«, fügt er mit einem schalkhaften Aufblitzen in den Augen hinzu, »Sie glauben, daß es einen Sinn hat, da Sie ja Christ sind. Also gut, versuchen wir einen zu entdecken, auch hier … Was meinen Sie? Welchen Sinn kann dieser ferngesteuerte Flug haben?«
»Aber ich habe Ihnen doch eben gesagt, daß ich keinen erkenne«, antworte ich und verdränge eine Anwandlung von Nervosität, die auf meine Schwäche zurückzuführen ist.
»Aber ja doch«, sagt Robbie. »Zum Beispiel könnte man sagen, daß keine Besatzung auf die Dauer diese Art Flug akzeptiert hätte.«
»Diese Art Flug?«
»Sie wissen schon, was ich meine«, antwortet Robbie leiser. »Ein Flug, wie soll ich es nennen? der so unbestimmt ist …«
Ich bin ihm für seine Diskretion dankbar, denn der Kreis hört uns mit wachsender Mißbilligung zu.
Einen Augenblick später fahre ich fort: »Sie meinen, eine Besatzung hätte gegen diesen ziellosen Flug meutern und beschließen können zu landen?«
»Ja, genau das«, sagt Robbie. »Eine menschliche Besatzung hätte einen Unsicherheitsfaktor dargestellt, der durch die Fernsteuerung gänzlich ausgeschaltet ist. Die Fernsteuerung liefert uns völlig der Willkür des BODENS aus«, fügt er etwas später hinzu.
Schweigen. Obwohl unsere leise geführte Diskussion
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