Madrapour - Merle, R: Madrapour
mit leiser Stimme unsere Unterhaltung wiedergeben.
Nach getaner Arbeit setzt sich die Stewardess wieder neben mich und überläßt mir wie selbstverständlich ihre kleine Hand, die vom Waschen angenehm kühl ist. Dank dieser Frische erscheint sie mir noch zarter, noch zierlicher sogar. Ihre schlanken Finger ruhen nicht in meiner Hand wie tot, sondern sind im Gegenteil ständig in Bewegung wie vertraute kleine Lebewesen, die sich an meine Finger schmiegen, sich wieder von ihnen lösen, sie behutsam streifen, meinen Daumen umspannen und ihn leicht massieren. Keine Frau hat mir jemals allein durch das Streicheln meiner Hand soviel Freude bereitet, keine hat vermocht, soviel Zärtlichkeit und stille Komplizenschaft in diese Geste zu legen.
In diesem Zustand großer Schwäche, da mein Leben aus allen Poren zu fliehen scheint, da ich mir so viele quälende Fragen über das Ziel unserer Reise stelle, kann ich nicht genug dankbar sein für die Aufmerksamkeit, welche die Stewardess mir so beständig erweist. Geliebt zu werden ist immer mehr oder weniger unverdient. Gewiß, ich bin nicht sicher, ob die Stewardess mich liebt – aber möglicherweise ist dieser Zweifel gerade die Grundsubstanz der Liebe. Übrigens weiß ich vielleicht gar nicht, was das Wort »lieben« in diesem Fall bedeutet: sie ist so schön, und ich bin es so wenig. Anderseits, was kann der Stewardess daran gelegen sein, einem »Passagier« (mir schnürt sich bei diesem Wort die Kehle zu) etwas vorzugaukeln? Tatsache ist: sie gibt mir viel, ganz ungezwungen und wie selbstverständlich, als belohnte sie außerordentliche Verdienste – während ich gar keine habe, ausgenommen vielleicht die Sensibilität, die mir erlaubt, die Unermeßlichkeit ihres Geschenks zu erkennen.
Ich frage mich immer, ob ich die Stewardess hinreichend beschrieben habe. Ich möchte nicht, daß man sie mit den Augen eines Caramans, eines Blavatski sieht – oder mit denen einer Mrs. Banister, so böswillig, wenn es um eine Frau geht. Die Stewardess ist bildschön: klein, zierlich, fast kindlich und rührend, aber nicht affektiert. Von ihr strahlt eine Würde aus, die auf ihren Blicken und ihrem Schweigen beruht. Trotz aller Selbstbeherrschung lebt ihr Gesicht. Ich weiß im voraus, wann ihre grünen Augen dunkel werden und ihre Nasenflügel unmerklich beben. Zuerst fand ich den Mund zu klein. Doch dieser kleine Mund wird Lügen gestraft, wenn ich so sagen darf,durch ihre Brüste, die schwer und füllig sind. Darunter die zierliche Taille, ein schmaler Po und lange schlanke Beine. Ihre Gebärden sind immer sehr anmutig, und ich bin beinahe sicher, Mrs. Banister würde ihr »Ziererei« vorwerfen oder sie in ähnlicher Weise verunglimpfen. Natürlich stimmt das nicht. Ich, der ich sie liebe und sie infolgedessen sehe, wie sie ist, möchte sagen, daß die Stewardess in Gebärde und Haltung stets Übereinstimmung mit ihrer Schönheit zu wahren sucht.
Da niemand spricht – die Mehrheit begegnet den Bemerkungen der Murzec und dem ketzerischen Gespräch zwischen Robbie und mir weiterhin mit einer Flut des Schweigens –, habe ich Muße, mein Gesicht der Stewardess zuzuwenden und mich von ihrer Nähe durchdringen zu lassen. Und ich weiß nicht wieso, ich sehe sie in diesem Moment, da ich mit halbgeschlossenen Augen vor mich hin träume, nicht neben mir sitzen mit allen ihren Reizen, sondern begegne ihr in einer Straße von Paris: plötzlich taucht sie auf an der Ecke des Boulevards und löst sich, klein und zierlich, aus der Schar der Passanten; ihr feines, weiches goldblondes Haar glänzt in der Sonne, und sie kommt auf mich zu, schlank und rund, den Kopf leicht zur Seite geneigt.
Doch hier sind wir sowieso
, ja, hier bin ich eingesperrt, und die liebkosende Hand der Stewardess und das Sprichwort, das Robbie mir geschenkt hat, sind mein einziger Trost. Ich wiederhole mir das Sprichwort in beiden Sprachen: In seiner kindlich-naiven Schlichtheit enthält es ein Resümee des ganzen Lebens. Alle Tränen sind darin, kaum noch zurückgehalten.
Ich mache die Augen weiter auf, richte mich in meinem Sessel empor und vergesse in den folgenden Minuten fast meinen Zustand. Der Kreis ist aus seiner Trägheit erwacht. Es knistert in der Luft: Manzoni hat seine so lange erwartete und so lange hinausgezögerte Verführungsattacke auf Mrs. Banister in die Wege geleitet.
Sofern es nicht die Frucht eines automatischen Donjuanismus ist, setzt dieses Unterfangen jene optimistische Sicht auf die Zukunft
Weitere Kostenlose Bücher