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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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geschieht kein Wunder, meine untere Gesichtspartie ist affenähnlich geblieben. Glücklicherweise sieht die Stewardess mich nicht an. Sie hat ihre schlanke Hand in mein Oberhemd gleiten lassen und streichelt sanft mein Brusthaar.
    Ich trinke ein paar Schluck und lasse das leere Glas zu meinen Füßen niedergleiten, ich verliere jegliches Schweregefühl. Ich sitze nicht mehr in dem schweren Plüschsessel, ich finde mich auf dem riesigen Bett ausgestreckt, die Stewardess liegt nackt in meinen Armen, den Kopf in Höhe meiner Brust, an die sie ihr zartes blondes Gesicht drückt. Mit ihren grünen Augen sieht sie zu mir auf. Ich weiß, worum sie mich bittet: ihr hinterher die gleiche Zärtlichkeit zu bezeigen wie vorher. Ich bin bestürzt bei dem Gedanken, daß ein so schönes Mädchen meine Kälte fürchten könnte. Im Spiegel sehe ich, wie meine mit animalischer Aufrichtigkeit leuchtenden Augen ihr das geforderte Versprechen geben. Ein schweigendes Gelöbnis, das Gott weiß warum eine unermeßliche Zukunft einzuschließen scheint.
    Aus Ehrfurcht vor ihrer Schönheit und aus Dankbarkeit fürihre unglaubliche Großmut wage ich nicht die geringste Bewegung zu machen, obwohl ich vom Kopf bis zu den Füßen zittere. Sie spürt es, glaube ich. Ihre zarten Finger gleiten über mein Brusthaar. Ja, du Schöne, ich bin dein Tier, für immer. Die Augen zur Decke gerichtet, will mir scheinen, ich sei fern der bösen Blicke mit dir in ein schalldichtes Gehäuse eingeschlossen, das plötzlich auf die Maße unserer beiden Körper geschrumpft ist.
     
    Das Ende ist grauenvoll. Die Stewardess verschwindet. Das schalldichte Gehäuse schließt sich über mir, und ich liege allein in einem Sarg. Mit meinen kraftlosen Armen bemühe ich mich vergeblich, den Deckel zurückzustoßen.
    In Schweiß gebadet, öffne ich die Augen. Im Flugzeug ist es bereits Tag geworden. Ich wende den Kopf zu den Kabinenfenstern, wo die Sonnenstrahlen hereinfluten. Diese einfache Bewegung erschöpft mich. Ich versuche, in meinem Sessel ein Stück zu rücken, und stelle fest, daß ich schwächer bin als am Abend zuvor. Überall bricht mir der Schweiß aus, auf der Stirn, im Rücken, unter den Achseln, und die Angst, von der ich mich befreit hatte, reißt mich erneut widerstandslos mit sich fort. Wahnsinnige Panik bemächtigt sich meiner. Wie jene Sterbenden, die das Bettzeug von sich werfen und mit den Augen ihre Kleider suchen, suche ich den Kreis ab, um einen Platz zu finden, wohin ich flüchten könnte. Ein schwarzer, bodenloser Abgrund scheint sich zu meinen Füßen aufzutun, mich zu verschlingen. Mein Herz hämmert. Meine Eingeweide krampfen sich zusammen. Meine Beine zittern. Endlos wiederhole ich mir den einen Satz, der mein ganzes Bewußtsein ausfüllt: »Diesmal ist es soweit. Diesmal ist es soweit. Diesmal ist es soweit.« Ich schwitze aus allen Poren, die Zunge klebt mir am Gaumen. Ich kann kein einziges Wort hervorbringen. Das entsetzliche Gefühl der Erschöpfung verschlimmert sich von Minute zu Minute. Mir ist, als entwiche meine ganze Kraft unaufhaltsam durch eine offene Wunde, die nichts und niemand schließen kann. Mein Kopf ist leer. Ich bin mir nicht mehr bewußt, ich selbst zu sein. Ich bin nur noch dieses abstoßende Entsetzen, das mich schüttelt.
    »Hier ist Ihr Oniril«, sagt die Stewardess, und da ich nicht die Hand bewegen kann, schiebt sie mir das kleine Dragee inden Mund und hält mir ein Glas Wasser an die Lippen, damit ich trinke.
    Ich sehe sie ganz aus der Nähe und blicke sie unverwandt an. Sie steht neben mir. Ihr Bild erscheint mir wie am Tag zuvor, in demselben Licht, aber nicht mit demselben Ausdruck.
    Es trifft mich wie ein furchtbarer Schlag, und ich kann es zuerst gar nicht glauben: in ihren Augen ist keine Spur mehr von Zärtlichkeit. Während ich unter Schwierigkeiten trinke, denn auch das verlangt mir Kraft ab, sehe ich sie weiterhin an. Sie reagiert nicht darauf. Was ist geschehen? Bei aller Zurückhaltung, die sie in der Öffentlichkeit wahren muß, ist ihr Verhalten unerklärlich, denn gerade an solcher Zurückhaltung war ihr nie gelegen: seit dem Abgang der Inder durfte ich ihr in die Bordküche folgen, ihr beim Servieren helfen, mich neben sie setzen, ihre Hand nehmen.
    Ich trinke, ich sehe sie an, ich kann in ihren grünen Augen nichts mehr lesen. Ihre Lippen sind in einem distanzierten, unpersönlichen Lächeln erstarrt. Mich überkommt ein Gefühl der Verlassenheit, das mir tausendmal schlimmer erscheint als die

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