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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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würde. Ich habe ihn sogar darum gebeten, als er an mir vorbeigegangen ist, um das Flugzeug zu verlassen.«
    »Sie haben Ihre Taschenlampe eingefordert?« fragt Caramans. »Dann habe ich Sie wohl nicht gehört«, fügt er mit höflichem Zweifel hinzu, als könne alles, was er »nicht bemerkt« und »nicht gehört« hat, ohnehin nur bedeutungslos sein. »Und was hat er Ihnen geantwortet?« fährt er distanziert und mit verschleierter Ironie fort.
    »Einen englischen Satz, den ich nicht verstanden habe.«
    »Aber ich habe ihn verstanden!« ruft Robbie. »Erst hat er kurz gelacht und dann gesagt: ›Diejenigen, die aus freien Stücken in der Finsternis modern, brauchen kein Licht.‹«
    Nach diesem Zitat, das für uns so wenig schmeichelhaft ist, schweigen alle, und der Streit verläuft wie immer ergebnislos im Sand, ohne die bescheidenste Gewißheit gebracht zu haben. Die Frage, ob wir zu unserem Ausgangspunkt zurückgekehrt sind, ist mit allen darin einbegriffenen verhängnisvollen Faktoren nicht eindeutig geklärt.
    Als ich die Stewardess später frage, warum sie sich auf die Gefahr hin, die Angst der Passagiere zu vergrößern, eingeschaltet hat, antwortet sie, nicht ohne innere Bewegung: »Ich konnte nicht länger mit anhören, wie diese Herren über Madame Murzec herfielen, obwohl sie über den umstrittenen See die reine Wahrheit sagte.«
    Ich komme nicht dazu, weiter zu bohren: die Motoren setzen sich mit jenem ungewöhnlich fernen, gedämpften Dröhnen in Gang, das mich von Anfang an verblüfft hat. Und fast gleichzeitig empfehlen uns die Leuchttafeln, uns festzuschnallen. Eine absurde Empfehlung, denn der Kreis hat den Befehl der näselnden Stimme befolgt: mit Ausnahme Pacauds, der Bouchoix zu Hilfe geeilt, und Madame Murzecs, die zum Kabinenfenster gelaufen war, hat niemand den Gurt gelöst.
    Die Maschine rollt heftig schaukelnd über das unebene Gelände, beschleunigt ihre Geschwindigkeit und hebt ab. Das Licht flammt wieder auf, und wir sehen einander verdutzt an, unentwegt blinzelnd. Die Kälte geht einem durch und durch. Ich bin nicht der einzige, der zittert.
    Die Stewardess steht auf und sagt mütterlich: »Ich werde uns einen Imbiß machen und heiße Getränke.«
    Kaum hat sie gesprochen, spüre ich in mir selbst und im Kreis eine Art Entspannung. Ich weiß wohl, der Irre kann sich an seine Anstalt gewöhnen, der Gefangene an seine Zelle, das mißhandelte Kind an seinen Verschlag – und beim Verlassen trauern sie ihnen zuweilen nach. Trotzdem hätte ich niemals gewagt, mir die ungeheure Erleichterung vorzustellen, die sich auf den Gesichtern meiner Reisegefährten abzeichnet, als das endlose Warten auf der Erde vorbei ist, im Dunkeln und bei eisiger Kälte.
    Gott sei Dank, es ist vorbei. Wir fliegen wieder. Licht hüllt uns wieder ein, und bald wird auch die Wärme zurückkehren und unsere Muskulatur lösen. Getreu ihrer Rolle als Beschützerin, wacht die Stewardess über uns. Heißen Kaffee werden wir trinken oder Tee. Und auch essen. Ach ja, essen! Das ist so wichtig! Auf dem Lande, wird da nicht auch immer gegessen nach einer Beerdigung? Um sich zu vergewissern, daß das Leben weitergeht. Und das Leben geht allem Anschein nach weiter in unserer Chartermaschine nach Madrapour. Mit der Wiederkehr des Lichts sind wir »alle« erneut zur Stelle. Man kanneinander wieder sehen, lieben, hassen; vielschichtige Beziehungen untereinander anknüpfen. In alledem ist eine Rückkehr zu beruhigender Routine, und wenn man nicht zu weit vorausdenkt, nehmen die Dinge alles in allem wieder ihren normalen Verlauf.

KAPITEL 14
    Die Stewardess serviert den Imbiß, und obwohl ich außerstande bin zu sagen, ob ich gegessen habe oder nicht, fühle ich mich sofort viel besser, vielleicht einfach deshalb, weil das Oniril zu wirken beginnt. Nicht daß meine Schwäche auch nur im geringsten nachgelassen hätte, aber wie soll ich es sagen? wenn ich mich nicht anstrenge – meinen Kopf zum Beispiel nicht wende und im Sessel mich nicht aufrichte –, vergesse ich sie und habe im Gegenteil ein belebendes Gefühl von Unbeschwertheit und Freiheit. Mir ist, als könnte ich wieder im lauen Abendwind am Strand entlanglaufen, springen und, wenn ich nur wollte, auch in den Lüften schweben. Dieses Gefühl einer gewissen Schwerelosigkeit geht mit dem neuen, berauschenden Eindruck einher, daß ich die Stewardess für mich habe, für mich allein, als ob eine lange währende Bindung (deren Anfänge ich vergessen habe) sie mir für alle Zeit

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