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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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hineingezogen zu sein, lehnt sich jeder in seinen Sessel zurück.
    Die zitternde Hand anklägerisch erhoben, vor Angst halb tot, wie mir scheint, und gleichzeitig zu verzweifelter Flucht nach vorn entschlossen, wagt Pacaud einen Frontalangriff.
    »Michou«, sagt er mit rauher Stimme, »Sie wissen nicht, wer diese Frau ist, die die Unverfrorenheit besitzt, Ihnen in aller Öffentlichkeitden Hof zu machen. Ich will es Ihnen sagen: sie ist nicht nur eine Lesbierin, sie ist eine Prostituierte größten Stils. Obendrein ist sie Zuhälterin. Sie ist die Besitzerin eines der teuersten Häuser in Paris.«
    Unter der Wucht dieser Beschuldigung ist Madame Edmondes Rollenwechsel verblüffend. Sie springt auf, wird rot, und ihr Mund, der sich eben noch so geübt zärtlich und trostspendend darbot, verzerrt sich in widerwärtigem Zischen, um Gift zu speien.
    Ich vernehme ihren Wortschwall voller Unbehagen. Die Sprache, deren sie sich bedient, die Bilder und Situationen, die sie schildert, verwirren mich. Und weit entfernt, ihre Ausführungen in
extenso
wiederzugeben, will ich sie lieber in erträglicher und sachlicher Form zusammenfassen:
    1. Madame Edmonde ist zwar alles das, was Pacaud behauptet hat, aber sie schreibt die alleinige Verantwortung der Geilheit der Männer zu. 2. Ihr Unternehmen könnte nicht länger als einen Tag existieren, gäbe es nicht Männer wie Pacaud, die auf respektabel mimen und trotzdem ihr Haus besuchen. 3. Pacaud, dessen körperliche Eigentümlichkeiten beklagenswert sind, hat obendrein sehr eigentümliche Neigungen. Er kann nur mit »falschen Gewichten« Verkehr haben, die er Behandlungen »so an der Grenze« unterwirft, bevor er sein Ziel erreicht. 4. Pacauds heuchlerisches Interesse für Michou erklärt sich nur aus seinen Lastern.

KAPITEL 4
    Dieses scheußliche Herumwühlen in Pacauds Privatleben empört mich derart, daß ich als erster versuche, dem ein Ende zu setzen, und laut schreie: »Genug jetzt!«
    Robbie greift meinen Schrei mit schriller Stimme auf; er ist von diesen gemeinen Einzelheiten so betroffen, daß er einem Weinkrampf nahe zu sein scheint. Nun kehrt Madame Edmonde ihren Zorn gegen uns und beschimpft uns, insbesondere Robbie, der »keine Gefahr läuft, jemals zu ihr zu kommen«. Da das Murren rundum lauter wird, läßt sie schließlich von Robbie ab, von der Mehrheit zum Schweigen gebracht, aber sie gibt sich nicht geschlagen und wirft herausfordernde Blicke in die Runde.
    Sosehr Pacaud vor seinem Eintreten für Michou die Angst im Gesicht geschrieben stand, so mutig zeigt er sich in dem Augenblick, als Madame Edmonde seinen Ruf zerfetzt. Er kreuzt die Arme – eine etwas theatralische Pose, die ihm aber hilft, seine Ruhe zu bewahren – und sieht Madame Edmonde ins Gesicht, ohne ein einziges Wort zu seiner Verteidigung zu sagen. Dabei fühlt er außer dieser Beschimpfung die er erdulden muß, in seiner unmittelbaren Nähe noch einen anderen Stachel: Bouchoix, seine rechte Hand, der gleichzeitig sein Schwager ist und der jenen unausrottbaren Familienhaß gegen ihn zu nähren scheint, der so oft in den französischen Romanen beschrieben wurde. Bouchoix jubelt. Er weiß die Waffe, die er dank der Enthüllungen Madame Edmondes gegen seinen Verwandten in die Hand bekommt, überaus zu schätzen. Ich habe selten ein widerwärtigeres Schauspiel als die Niederträchtigkeit gesehen, die in diesem Augenblick auf seinem abgezehrten Gesicht triumphiert.
    Wir vermeiden alle, Pacaud zu unverhohlen anzusehen, aber jeder von uns wirft ihm verstohlene Blicke zu, insbesondere die
viudas
.
    Diese Damen sind in Wallung geraten. Da sie nicht alle Einzelheiten der Schimpfkanonade verstanden haben und darauferpicht sind, alles zu verstehen, tauschen sie a parte moralische Kommentare und prickelnde Fragen aus. Insbesondere interessiert sie, was Madame Edmonde mit »falschen Gewichten« und »Behandlungen so an der Grenze« sagen wollte. Gewiß, ihr Mienenspiel besagt, daß ihr Feingefühl verletzt worden ist, doch gleichzeitig spürt man ihr Entzücken darüber, daß das Abenteuer ihrer Reise nach Madrapour bereits im Flugzeug beginnt. Denn ein jeder weiß, daß man normalerweise während eines Langstreckenflugs außer penetranter Langeweile zwischen zwei kleinen Ängsten nichts erlebt.
    Blavatski beugt sich zu mir, seine stechenden Augen hinter den dicken Brillengläsern blitzen, und er sagt leise (mir fällt nebenbei auf, daß er zwei Sprachen spricht – eine korrekte bei der offiziellen Unterhaltung

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