Madrapour - Merle, R: Madrapour
Nachbarn Robbie gewandt, sagt sie leise: »So eine blöde Kuh!« Ich stelle erstaunt fest, daß sie sich mit Robbie sofort wieder versöhnt hat und beide in gespielter Komplizenschaft miteinander schöntun. Vermutlich finden beide in der Vorstellung, daß sie niemals miteinander schlafen werden, etwas Beruhigendes.
»Jedenfalls geht Sie das nichts an«, sagt Pacaud. »Das ist mein Privatleben.«
»Ihr Privatleben, Monsieur, ist öffentlich geworden«, sagt die Murzec wichtigtuerisch, »und Sie haben daraus alle Konsequenzen zu ziehen.«
»Was für Konsequenzen?« fragt Pacaud verblüfft.
»Das fragen Sie noch?« Die Murzec hat ihre unerbittlichen blauen Augen mit tückischer Eindringlichkeit auf Pacaud gerichtet. »Die Konsequenzen liegen doch klar auf der Hand! Wenn Sie noch einen Schimmer moralischen Empfindens besitzen, müßten Sie begreifen, daß Ihr Platz nicht mehr in unserer Mitte ist.«
Erstaunte Ausrufe werden laut, und alle Augen richten sich auf die Murzec.
»Was denn? Was denn?« sagt Pacaud. »Sind Sie verrückt? Wo soll ich denn hingehen?«
»In die Touristenklasse«, sagt die Murzec.
»Gehen Sie doch selbst, wenn meine Gegenwart Sie stört«, sagt Pacaud wütend.
»Und ob sie mich stört!« erwidert die Murzec. Ihre blauen Augen funkeln im Gelb ihrer Haut und ihrer Zähne. »Ich frage: wen stört sie nicht nach allem, was wir erfahren haben?«
»Mich zum Beispiel«, sagt Mrs. Banister (geborene Boitel) betont nachlässig und sieht Madame Murzec gelangweilt an.
“My dear!”
sagt Mrs. Boyd mit erhobenen Händen.
“You don’t want to argue with that woman! She is the limit!”
1
»Sie, Madame!« sagt die Murzec mit dem Ausdruck einer Königin in der Tragödie (denn außerdem spielt sie falsch wie häufig die »Bösen«, die in Ermangelung einer »Natur«, auf die sie sich stützen können, Kunstgriffe anwenden).
Mrs. Banister beschränkt sich darauf, zustimmend zu nicken, während sie ihre entspannte Pose beibehält. Die Murzec spürt, besser gesagt, sie wittert die Selbstbeherrschung unter dieser Lässigkeit, und so unerschrocken sie auch ist, sie hält inne. Kein Zweifel, diesmal hat sie einen gefährlicheren Gegner vor sich als den armen Pacaud.
In dem folgenden Schweigen hebt Mrs. Banister ihre schönen schrägen Augen zum Himmel empor und läßt dann ihren Blick wie durch Zufall auf der Murzec ruhen. Sie lächelt so erstaunt, als würde sie auf den gepflegten Wegen des väterlichen Schloßparks ein Kothäufchen finden. Es brauchte Jahrhunderte absoluter sozialer Machtausübung, um dem Lächeln der Boitel diese Vollendung zu geben, aber das Resultat läßt nichts zu wünschen übrig.
Hinzu kommt allerdings, daß das Gesicht von Mrs. Banister geradezu prädestiniert scheint, Stolz widerzuspiegeln, vor allem wegen der Augen und Brauen, die zu den Schläfen hochgezogen sind, wegen der tiefschwarzen Pupillen; sie hat beinahe Schlitzaugen – vielleicht das Erbe irgendeines Vorfahren, den es nach dem Fernen Osten verschlagen hatte. Das Ganze erinnert an die Maske eines japanischen Schauspielers und verleiht Mrs. Banister einen natürlichen Hochmut, den sie als perfekte Schauspielerin für ihre Zwecke nutzt. Kein Vergleich mit demetwas mechanischen Flunsch von Caramans: sie ist bedeutend raffinierter. Ihr Lächeln ist nicht schlechthin als solches verächtlich, sondern weil es auf das ganze Gesicht und insbesondere auf die Augen übergreift.
Unter dem Eindruck dieses Mienenspiels – darauf zielt Mrs. Banister ab – bekommt der hellgelbe Teint der Murzec eine dunkle Färbung. Jegliche Vorsicht vergessend und mit dem Fuß auf dem Boden scharrend, stürzt sie sich sofort blind ins Gefecht.
»Sie müssen zweifellos Ihre Gründe haben, wenn Sie gegenüber diesem Herrn Nachsicht zeigen!« sagt sie mit pfeifender Stimme.
»Aber gewiß, ich habe meine Gründe«, sagt Mrs. Banister und lächelt mit charmanter Naivität in die Runde. »Vor allem habe ich nicht verstanden, was man ihm vorwirft. Ich weiß zum Beispiel nicht, was das ist, ein ›falsches Gewicht‹. Aber vielleicht könnten Sie, Madame, die Sie auf diesem Gebiet sicher mehr Erfahrung haben als ich, mir Auskunft geben?«
Die Murzec schweigt. Wie könnte sie zugeben, daß sie »auf diesem Gebiet« mehr Erfahrung als ihre Gegnerin hat? Die Herren aus dem rechten Halbkreis schweigen ebenfalls, weil sie es peinlich finden, in Pacauds Gegenwart (von dessen kahlem Schädel erneut der Schweiß rinnt) erklären zu sollen, was ein
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