Madrapour - Merle, R: Madrapour
seiner hervorquellenden Augäpfel kaum eine Metapher ist), und ich bin selbst erstaunt, eine solche Sottise von mir gegeben zu haben.
»Und dieser Blavatski, ist er wirklich, was er zu sein behauptet?« fährt Pacaud mit gedämpfter Stimme fort.
»Vielleicht.«
»Jedenfalls ist er widerwärtig.«
»Aber nein, er übt seinen Beruf aus. Das ist alles. – Entschuldigen Sie, Monsieur Pacaud, aber ich wollte gerade …« Und ich mache eine vielsagende Geste in Richtung Heck.
»Verzeihung, Verzeihung«, sagt Pacaud. Und mit jener erstaunlichen Ungeniertheit von Leuten, denen es nichts ausmacht, andere zu belästigen, fügt er hinzu: »Gestatten Sie mir noch eine letzte Frage. Warum kann Blavatski uns nicht leiden?«
»Uns?« frage ich. »Meinen Sie Caramans und sich selbst oder die Franzosen im allgemeinen?«
»Die Franzosen im allgemeinen.«
»Das ist eine typisch französische Frage«, sage ich mit einer gewissen Bissigkeit (denn mein Bedürfnis wächst von Sekunde zu Sekunde). »Die Franzosen erwarten stets, von der ganzen Welt vergöttert zu werden. Aber ich frage Sie, inwiefern haben sie denn mehr aufzuweisen als die anderen Völker?«
Daraufhin kehre ich ihm den Rücken, lasse ihn stehen und stürze zu den Toiletten.
Diese Örtlichkeit an Bord eines Flugzeugs ist eng, unbequem, stickig; hinzu kommen die starken Erschütterungen. Und dennoch ertappe ich mich beim Nachdenken, nachdem ich mir erste Erleichterung verschafft habe und mir Zeit lassen kann. Gleichwohl bin ich mir der Deplaziertheit einer solchen Meditation an einem solchen Ort bewußt.
Ich werfe mir die Dummheit vor, die ich zu Pacaud gesagt habe:
man wird geboren, pflanzt sich fort, stirbt; was soll’s?
Ich erkenne meine Lebensanschauung darin nicht wieder.
Mich quälen Gewissensbisse. Wie habe ich so etwas sagen können? Wo ich mir doch als gläubiger Mensch gerade einbilde, im Besitz der Wahrheit über den Sinn des Lebens zu sein.
Denn ich bin kein Ödipus. Ich habe meinen himmlischen Vater nicht erschlagen. Und wenn er mich zur Welt kommen ließ, so deshalb, damit ich auf Erden mein Heil erlange und – wenn ich die Prüfung bestehe – an seiner Seite meinen Platz finden kann.
Oh, gewiß, auf dem Wege dahin darf ich mich in aller Unschuld vergnügen und mir ein vergängliches kleines Paradies ausmalen – mit der Stewardess als Gattin im Vier-Sterne-Hotel von Madrapour.
Aber dieses Paradies wird nur eine Zwischenstation sein. Für mich kommt es letzten Endes darauf an, vor meinem Schöpfer erfolgreich zu bestehen. Ich mache mir nichts vor: der wahre Sinn meines Lebens ist das, was mir nach dem Tode widerfahren wird. Gemessen an der Absurdität, die sich in meiner ungeschickten Antwort an Pacaud kundtat, ist da ein himmelweiter Unterschied.
Oh, ich weiß! ich weiß! Man hält mir entgegen, und meine eigenen Zweifel besagen es ebenfalls, daß ich damit das Absurde nur um eine Stufe zurückdränge und daß es sinnlos ist, mein ganzes Leben darauf auszurichten, was geschehen oder nicht geschehen wird, wenn ich einmal nicht mehr atme. Da ich aber außer meinem Glauben keine Antwort auf diesen Gedanken habe, verdränge ich ihn, ohne ihn ganz unterdrücken zu können.
Als ich zurückkomme, hält mich ein plötzlicher Impuls hinter dem Vorhang zurück, der die erste Klasse von der Touristenklasse trennt. Und ich höre, wie sich Mrs. Banister auf meine Kosten lustig macht, zweifellos um vor Manzoni zu glänzen.
»Meine Liebe«, sagt sie auf englisch (sie wendet sich offensichtlich an Mrs. Boyd), »so auszusehen müßte verboten sein! Der scheint ja aus einer prähistorischen Grotte zu kommen. Es läuft mir kalt den Rücken herunter (Lachen). Sind Sie sicher, daß es sich nicht um die Frucht der Vereinigung King-Kongs und dieser unglücklichen Frau, Sie wissen doch, der vom Empire State Building, handelt? Trotz, sagen wir (Lachen), einer gewissen Disproportion! Als er die Hand der Stewardess ergriff, glaubte ich, daß er sie wie eine Zwiebel schälen würde!« (Lachen.)
“My dear!”
sagt Mrs. Boyd. Ihr Lachen enthält einen schwachen Protest, der in Wirklichkeit zum Weitermachen ermuntert.
Ich habe genug gehört. Ich trete wütend und gedemütigt ein, es wird still, ich setze mich jäh hin und schleudere Mrs. Banister einen vorwurfsvollen Blick entgegen. Sie reagiert blitzartig mit einem komplizenhaften Zwinkern und einem bestrickenden Lächeln, beides eine Meisterleistung an Koketterie, Unverschämtheit und mondäner Gewandtheit. Man
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