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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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er barsch, als ob er mich verdächtigte, sein Land angreifen zu wollen. Nach einer Weile fährt er leise, kaum hörbar fort: »Dieser Herr da aber hätte besser geschwiegen. Ich verstehe nicht, wie er an dem Ast sägen konnte, auf dem er sitzt.«
    »Ich weiß nicht«, sage ich. »Alles in allem finde ich ihn recht sympathisch.«
    Caramans sieht mich von der Seite an. Dann schweigt er. Damit will ich nicht sagen, daß er zu sprechen aufhört. Nein, er schweigt – so wie man eine Tür hinter sich zumacht. Ohne sie zuzuknallen. Dafür ist er viel zu höflich.
     
    Schweigen rundum. Ich sehe auf meine Uhr: wir fliegen seit zwei Stunden; zwischen zwei Wolkenschichten, denn durch die Kabinenfenster ist nichts zu sehen – kein Stern, kein Mond, kein Fleckchen Erde. Finstere Nacht. Logischerweise müßten wir schlafen, doch abgesehen von Mrs. Boyd, der Ältesten von uns, die hin und wieder vor sich hin zu dösen scheint, sind wir alle hellwach.
    Während ich die Stewardess ansehe, denke ich über das Geschehene nach: Der Kreis ist durch den Zwischenfall Pacaud viel mehr aus der Ruhe gebracht worden als durch die vorangegangene Diskussion über Madrapour, die aber unser Interesse viel stärker hätte erregen müssen, da sie ja die Existenzdes Landes, in das wir uns begeben, in Frage stellte. Aber nein, bequem in unsere Sessel zurückgelehnt, fest davon überzeugt, daß die absurden Abenteuer anderen widerfahren, haben wir es vorgezogen, zu bagatellisieren, was uns gegenüber unserem Reiseziel skeptisch machen könnte.
    Ein anderes Paradoxon: während man normalerweise die Zeit im Flugzeug untätig verbringt und Gespräche kaum zustande kommen, haben wir hier seit Beginn des Fluges bemerkenswert vielfältige und intensive Kontakte. Wie ich schon sagte, ist diese Kommunikation durch die kreisförmige Anordnung unserer Sessel ermöglicht worden. Aber die Frage, die ich mir jetzt stelle, geht tiefer: ist sie durch diese Disposition lediglich »ermöglicht« oder ist sie dadurch herbeigeführt worden?
    Ich möchte nicht abstrus oder verworren erscheinen, aber ich messe der Figur des Kreises eine große Bedeutung bei. Ich fasse sie nicht im Sinne der Buddhisten auf, für die der Kreis
das Rad der Zeit
symbolisiert und die Dinge sich im Zustand endloser Verwandlung befinden und die Seelen von Körper zu Körper wandern, bis sie gereinigt sind, das Rad verlassen und schließlich Ruhe finden.
    Für mich ist der Kreis eine Gemeinschaft von Männern und Frauen, der ich angehöre und deren Probleme, Spannungen, Hoffnungen ich teile. Glück bedeutet für mich Gemeinsamkeit. Ein anderes Glück gibt es in meinen Augen nicht.
    Deshalb bedaure ich, daß wir einen so vereinfachten Manichäismus praktiziert und die Murzec zu unserem schwarzen Schaf gestempelt haben. Physisch haben wir sie selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Wie denn auch? Aber in unserer Vorstellung ist die Murzec bereits gebrandmarkt, ins Ghetto abgeschoben. Sie ist zum Sündenbock geworden. Ein Schnellverfahren, dessen Willkür mich schockiert.
     
    Immerhin muß man sagen, daß die Murzec nichts tut, um uns die Waffen aus der Hand zu nehmen. Sie könnte sich zumindest in Vergessenheit bringen, ruhig bleiben. Aber nein! sie interveniert! sie hat die Manie des Intervenierens! Sie ist ständig dabei, Ordnung in die menschlichen Angelegenheiten zu bringen. Und es macht ihr wenig aus, daß ihre Initiativen, mit denen sie fortwährend gegen den Strom schwimmt, die Umwelt zur Verzweiflung treiben.
    Madame Edmonde, deren Attacke gegen Pacaud gewiß nicht angenehm war, kann sich wenigstens damit rechtfertigen, daß sie provoziert worden ist. Warum aber muß sich die Murzec mit entblößten gelben Zähnen auf den armen Pacaud stürzen in der offenkundigen Absicht, ihn zu zerfleischen, nachdem er gerade keuchend den Krallen von Madame Edmonde entronnen ist und sich nach ein bißchen Ruhe und Dunkelheit sehnt, um seine Wunden zu lecken?
    »Monsieur«, sagt die Murzec zur allgemeinen Verblüffung, »ich halte es für meine Pflicht, Sie zu fragen, ob die Enthüllungen dieser Person der Wahrheit entsprechen.«
    »Aber Madame«, sagt Pacaud hochrot und mit hervorquellenden Augen, »Sie haben kein Recht, mir eine solche Frage zu stellen!«
    »Auf jeden Fall nehme ich zur Kenntnis, daß Sie darauf nicht antworten. Und daß Sie die Behauptungen dieser Person auch nicht abgestritten haben.«
    An dieser Stelle lacht die zweimal als Person bezeichnete Madame Edmonde auf. An ihren neuen

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