Madrapour - Merle, R: Madrapour
die sich frei in der Luft halten! den Pflanzen, die man wachsen sehen kann!«
Zu meiner Rechten spüre ich gleichsam einen Schlag, und als ich die Augen von dem Inder abwende – was mir sehr schwerfällt –, sehe ich, daß Blavatskis linke Hand zittert. Er muß die Richtung meines Blicks wahrgenommen haben, denner krampft seine Finger mit solcher Kraft um die Sessellehne, daß sie weiß werden.
Ich fühle mich ein wenig verloren. Ich folge dem Gespräch von Anfang an mit größter Aufmerksamkeit, aber es gelingt mir nicht, zu begreifen, worum es sich wirklich handelt und warum Blavatski so ein entsetztes Gesicht macht. Gleichzeitig spüre ich Panik in mir aufsteigen.
Es ist Schweigen eingetreten, und Pacaud macht sich durch einige »Ah, äh« bemerkbar, die die Aufmerksamkeit auf seine hervorquellenden Augen und seinen puterroten Schädel lenken. Seine Erregung scheint jedoch unvergleichlich geringer zu sein als die Angst, die von Caramans und Blavatski Besitz ergriffen hat.
»Sie meinen also, daß es in Madrapour kein Furnierholz gibt?« fragt er auf französisch und sieht den Inder an.
Der Inder zieht fragend die Brauen hoch, und ich dolmetsche, erstaunt darüber, daß ein intelligenter Mann wie Pacaud in solcher Situation eine derart lächerlich egozentrische Frage stellen kann.
Natürlich lacht der Inder, wobei aber sein Lachen nichts weniger als fröhlich ist.
»Furnierholz oder Rauschgift«, sagt er mit einem verächtlichen Blick auf Chrestopoulos, »finden Sie überall in Indien, Monsieur Pacaud, jedoch nicht in Madrapour, weil es Madrapour nicht gibt. Offen gestanden, ich finde Sie nicht sehr seriös. Sie sollten ein für allemal auf Ihren Traum verzichten, für ein Butterbrot Rohstoffe aus unterentwickelten Ländern zu importieren oder auch, was auf dasselbe hinausläuft, auf Ihren Traum von minderjährigen indischen Mädchen, die von hungernden Eltern spottbillig vermietet werden.«
Bouchoix lächelt haßerfüllt, und obwohl der Inder keine Beweise für seine beleidigende Unterstellung hat, schenken wir ihm sofort Glauben, hätten es auch ohne das heimtückische Lächeln des Schwagers getan.
Die Wirkung auf Pacaud ist niederschmetternd. Er krümmt sich wie eine Spinne, die unter einen kochendheißen Wasserstrahl gerät.
Aber der Inder läßt nicht locker. Sein peitschender Blick ruht erbarmungslos auf Pacaud, und er sagt nach einer kurzen Pause: »Ich verstehe nicht, daß Sie sich noch für so nichtigeDinge interessieren, Monsieur Pacaud, wo es für Sie doch hier um Leben oder Tod geht.«
»Um Leben oder Tod?« Pacaud, der wieder etwas zu sich kommt, läßt seine großen entsetzten Augen in alle Richtungen schweifen, die des Inders ausgenommen. »Aber mir geht es doch gut! Ich bin völlig gesund!«
»Es geht um Leben oder Tod«, sagt der Inder achtlos und setzt leise mit einem angedeuteten Lächeln, diesmal ohne jemand anzusehen, hinzu: »Und nicht nur für Sie.«
Schweigen bricht herein, und das »Hereinbrechen« ist in diesem Falle keine Metapher, denn ich habe die Empfindung eines Sturzes, eines schrecklichen Sturzes, wie man ihn im Traum durchlebt, wenn einem der Boden unter den Füßen entgleitet und das Herz stockt.
Ich werfe einen Blick auf Caramans. Er ist starr und bleich. Und zu meiner Rechten umklammern Blavatskis Finger immer noch die Sessellehne. Chrestopoulos schwitzt aus allen Poren, den Mund aufgerissen, aber stumm, ebenso gelb wie seine Schuhe. Pacaud fällt zusehends in sich zusammen. Nur der ausgezehrte, leichenhafte Bouchoix, der an seinen Spielkarten fingert, wirkt ruhig, vielleicht weil ihm der Gedanke an den Tod zu vertraut ist, als daß er ihn sonderlich erschüttern könnte.
Der linke Halbkreis ist, bis auf Robbie und die Stewardess, gegenüber unseren Reaktionen noch sehr im Rückstand. Die Frauen sind nur irgendwie unruhig und hören sich alles an, was gesagt wird, jedoch mehr als Zuschauerinnen, als stumme Zeugen, so als wäre der strittige Punkt reine »Männersache«, von der sie sich ausgeschlossen fühlen.
Robbie setzt mich in Erstaunen. Die lebhaften, sprühenden Augen auf den Inder gerichtet, ist er anscheinend allem gefolgt und hat alles verstanden. Und ohne die geringste Besorgnis zu verraten, strahlt er beinahe vor Freude.
Mit seinem aprikosenbraunen Teint, mit den goldblonden Locken, die ihm in den Nacken fallen, den hellgrünen Hosen, dem azurblauen Hemd mit orangefarbenem Halstuch und, nicht zu vergessen, den nackten Füßen in den roten Sandalen
Weitere Kostenlose Bücher