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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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daß er sich klar darüber ist, wie vergeblich alle seine Worte sind. Ich begreife nicht recht, worauf er hinauswill, aber meine Kehle schnürt sich bei dem Gedanken an das unvermeidliche Scheitern seines Versuchs beängstigend zusammen.
    Ich weiß nicht, ob Blavatskis Einwand den Inder in Verlegenheitgebracht hat. Jedenfalls antwortet er nicht, und wer weiß, wie lange sein Schweigen noch gedauert hätte, wenn nicht ein unerwarteter Verbündeter ihm zu Hilfe gekommen wäre: Caramans richtet sich in seinem Sessel auf. Zuerst war er blaß, jetzt wird er puterrot. Er beugt sich leicht vor, um Blavatski sehen zu können, und sagt auf englisch in schneidendem, entrüstetem Ton:
    »Ich kann nicht hinnehmen, daß Sie, Monsieur Blavatski, so etwas sagen! Das ist Ihrer und der öffentlichen Ämter, die Sie bekleiden, unwürdig! Wir haben absolut keinen Beweis, daß Madrapour nicht existiert und daß der BODEN uns belogen hat; vor allem kann überhaupt nicht die Rede davon sein, daß er uns gegenüber gleichgültig oder nachlässig wäre. Und es ist beschämend, daß Sie derlei öffentlich aussprechen!«
    »Schweigen Sie, Caramans!« schreit Blavatski äußerst aufgebracht, während er sich in seiner Wut fast im Sessel aufrichtet. »Sie verstehen davon nichts! Also mischen Sie sich gefälligst auch nicht ein! Lassen Sie mich alleine machen! Mit Ihren idiotischen Reden verderben Sie alles! Und Ihre Ergebenheit gegenüber dem BODEN können Sie sich in den Arsch stecken!«
    »Im Gegenteil, ich verstehe sehr gut«, sagt Caramans mit eiskaltem Zorn. »Ich verstehe, daß Sie im Begriff sind, zynisch eine ganze Gesellschaft zu verleugnen! Eine ganze Weltanschauung!«
    »Eine Afteranschauung!« schreit Blavatski auf französisch.
    »Gentlemen, Gentlemen!« sagt der Inder mit einer anmutigen, beschwichtigenden Gebärde. »Obwohl Ihr Streit für mich von höchstem Interesse ist und ich alle seine Widersprüche genieße, bitte ich Sie, da mich die Zeit etwas drängt, ihn auf später zu vertagen und mich meine Erklärung beenden zu lassen.«
    »Aber das ist ungerecht!« sagt Blavatski verzweifelt. »Sie sind auf meinen Einwand gar nicht eingegangen! Lassen Sie mir wenigstens die Zeit, ihn zu entwickeln!«
    »Ich gehe im Gegenteil ausführlichst darauf ein«, sagt der Inder. »Sie werden es sehen.« Er wendet sich uns zu, läßt seinen Blick über den Kreis schweifen und sagt in seinem Oxford-Englisch: »Ich erinnere Sie daran, was ich vom BODEN gefordert habe: mich und meine Assistentin auf einem befreundeten Flughafen abzusetzen. Ich habe dem BODEN eineStunde Zeit gegeben, meiner Forderung nachzukommen. Wenn diese Frist verstrichen ist, werde ich mich zu meinem großen Bedauern gezwungen sehen, eine Geisel hinzurichten … Einen Augenblick bitte, ich bin noch nicht fertig. Wenn nach Hinrichtung der ersten Geisel eine zweite Stunde verstrichen ist, ohne daß wir gelandet sind …«
    Er bricht den Satz ab, macht eine lässige Handbewegung, läßt die Lider zur Hälfte über seine dunklen Augen sinken und blickt uns so kalt an, als wären wir gar keine Menschen.

KAPITEL 6
    Für mich, für uns alle ist es ein furchtbarer Schock. Denn diesmal ist der Tod nicht mehr abstrakt und fern. Er ist in Reichweite.
    Der Körper reagiert auf der Stelle mit Anzeichen der Angst: Herzklopfen und Schweißabsonderung, die Hände zittern, die Knie werden weich, es meldet sich das Bedürfnis zu urinieren.
    Und gleich danach die blinde, aber rettende moralische Reaktion:
man glaubt es nicht.
Man sagt sich: Nein, ich nicht, das ist nicht möglich. Die anderen vielleicht, aber ich nicht.
    Schließlich eine dritte Phase: Der Rückzug in sich selbst. Ich denke nur noch an mich. Ich
sehe
meine Gefährten buchstäblich nicht mehr. Ich vergesse die Stewardess. Die Welt um mich herum versinkt, jegliches Interesse für die anderen ist geschwunden, das Entsetzen hat jede menschliche Bindung zerstört.
    Auf dem Tiefpunkt der Verworfenheit angelangt, klammere ich mich an eine schäbige Hoffnung und rechne mir aus, daß meine Chancen, nicht als Opfer bestimmt zu werden, letztendlich dreizehn zu eins stehen.
    Hier jedoch überkommt mich Scham: Ich stelle fest, daß ich den Tod der Stewardess zu den dreizehn Möglichkeiten meines Überlebens gerechnet habe.
    Und hier beginnt mein Wiederaufstieg, der keineswegs schmerzlos verläuft. Ich muß meinen ganzen Willen aufbieten, um mit meinem Mut auch meine gesellschaftlichen Reflexe wiederzuerlangen. Oh, es ist damit noch nicht

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